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Organisationsgebundene pädagogische Professionalität - Budrich

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Theoretisches Konstrukt<br />

Verstehbarkeit mit sich führt“ (ebd.:146). 88 Schapp zählt eine lange Liste von<br />

Willensregungen, Gefühlsregungen und kognitiven Regungen auf (z. B. Urteilen,<br />

Schließen, Lieben, Hassen, Begehren, Verlangen, Wünschen) und argumentiert,<br />

dass wir nicht näher an diese Phänomene herankommen können<br />

als in den Geschichten, in denen sie auftauchen. 89<br />

Den Ursprungsort, an dem uns Liebe und Hass, Freude und Trauer und alle sogenannten<br />

Gefühlsregungen begegnen, bilden die Geschichten, in die wir als Ich oder Wir verstrickt<br />

sind, oder die Fremdgeschichten, in welche wir auch noch irgendwie mitverstrickt sind.<br />

Wenn wir von Liebe und Hass, Trauer und Freude überhaupt reden, so kann sich das nur<br />

auf die Fülle der Geschichten, die im Horizont auftauchen, beziehen, und auch immer nur<br />

auf Geschichten, in die wir irgendwie mitverstrickt sind (ebd.:149f).<br />

Erkennen und Verstricktsein ist eins – oder wie es in der phänomenologischen<br />

Perspektive heißt: Auftauchen und Verstricktsein ist eins (ebd.:150).<br />

Das Verstricktsein macht die Geschichte erst zu einer Geschichte. Solange<br />

man in die Geschichte verstrickt ist, ist sie wahr (ebd.:150). „Die Einzelgeschichte<br />

ist immer als Ganzes gegenwärtig, weil wir nur in die Geschichte als<br />

Ganzes verstrickt sind und verstrickt sein können“ (ebd.:143).<br />

Das gelebte Leben ist im fortwährenden Verstricktsein in Geschichten<br />

organisiert – es ergibt sich ein lebendiges Gebilde, das man als den narrativen<br />

Zusammenhang bezeichnen kann. Darüber können wir bei Schapp erfahren:<br />

1. Geschichten sind in die Welt hineingestellt, die mit der Geschichte<br />

unmittelbar mitgegeben ist. Sie sind in einer geschichtlichen Welt<br />

verwurzelt, die im Hintergrund bleibt (Schapp 2004:91).<br />

2. Die eigentliche Bewegung verläuft im Vordergrund. Sie verläuft nicht<br />

linear, Augenblick für Augenblick. Bei einer lebendigen Geschichte<br />

spannt sich ein Bogen, der schon eine Richtung auf ein Ende hat. Dieser<br />

Bogen wird aber nicht ausgefüllt. Wendungen geben der Geschichte<br />

einen anderen Verlauf, sodass der gespannte Bogen aufgegeben wird und<br />

neue Bögen auftauchen (ebd.).<br />

3. Das narrative Gebilde ist der lebendige Zusammenhang von<br />

Vorgeschichte, Geschichte und Nachgeschichte und wird im Erzählen<br />

und Hören fortgesetzt. Jede Geschichte ist im Horizont einer anderen<br />

88 Schapp vergleicht Geschichte mit den letzten Strukturen der Naturwissenschaft, den<br />

Atomen und Zellen (ebd.:146).<br />

89 Schapp kritisiert damit Husserls Bewusstseinsphilosophie und dessen Konzept des<br />

Erlebnisstroms. Die von Husserl behauptete Einheit des Subjekts und seiner Welt ist nicht<br />

durch das einzelne Erlebnis gegeben, sondern liegt darin begründet, dass der Mensch in<br />

Geschichten verstrickt ist. Lübbe kommentiert Schapps Versuch, Husserls Konzept des<br />

Bewusstseins zu überwinden: „Es gelingt aber nicht, sich die Erlebnisse des Subjekts als<br />

etwas verständlich zu machen, was der Strom des Bewußtseins in an- und abrollenden<br />

Wogen an den Strand der Gegenwart spült. Nur im verbindenden Horizont der Geschichte,<br />

in die einer verstrickt ist, haben sie ihre plausible Stelle“ (Lübbe 1972: 105).<br />

149

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