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I. Literatur

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142<br />

„Das tägliche Leben, das tägliche Sterben.<br />

Halten wir’s durch!“<br />

297 KRAUS, KARL, österreichischer<br />

Schriftsteller, Satiriker, 1874-1936. Eigenhändiges<br />

Manuskript, am Kopf bezeichnet<br />

„Eine prinzipielle Erklärung“.<br />

Arbeitsmanuskript mit zahlreichen<br />

Einschüben, Korrekturen und Streichungen.<br />

[November 1917]. 10 Einzelblätter<br />

8°, jeweils die Vorderseite beschrieben,<br />

am Kopf nummeriert, alle<br />

Blätter auf Korrekturabzüge der Zeitschrift<br />

‚Die Fackel’ fest montiert; auf 3<br />

Bl. Zeitungsausschnitte aufgeklebt; 2<br />

Bl. in der Größe und der Papierqualität<br />

abweichend. (CHF 10’000.00)<br />

Für den Druck in der „Fackel“ (Nrn. 484-<br />

498 vom Oktober 1918, S. 232-240) bearbeitetes<br />

Manuskript der Rede, die Kraus erstmals<br />

am 11. November 1917 gehalten hatte.<br />

Kaiser Karl I. versuchte damals, hinter dem<br />

Rücken Deutschlands, über seinen Schwager<br />

Sixtus von Bourbon-Parma einen Ausgleich<br />

mit den Entente-Mächten zu erreichen.<br />

Der österreichische Außenminister<br />

Ottokar Graf Czernin hatte in einer Rede<br />

einen Verständigungsfrieden gefordert<br />

und war für die allgemeine Abrüstung<br />

nach dem Krieg eingetreten; diese Rede<br />

war in der „Neuen Freien Presse“ als bloß<br />

taktischer „Handgriff“ ohne Bedeutung für<br />

die Bündnistreue und die Kriegsbereitschaft<br />

Österreichs interpretiert worden.<br />

„Es hat vor einigen Monaten einen Augenblick in der Weltgeschichte gegeben, wo die Hoffnung aufleuchtete, daß diese<br />

zerschundene Maschine, die Mensch genannt wird, wieder zum Menschen werden könnte, und weil diese Hoffnung in<br />

Österreich geboren wurde, war’s auch die Hoffnung, ein Patriot zu sein, Patriot im edelsten, längst nicht mehr vorräthigen,<br />

längst vergriffenen, längst ersetzten und verfälschten und nun plötzlich wieder lebendigen und heimatsberechtigten<br />

Sinne. Es waren Worte gesprochen worden, die mehr waren als Taten, denn sie waren die Erholung von Taten; Worte,<br />

deren letztes freilich wieder der Tat glich und darum dem Glauben die Aussicht auf Erfüllung entrückte. Dennoch, es<br />

war die Idee; nach dem verhängnisvollen Walten der Quantität doch etwas vom Geiste. Es war zum erstenmal aus dem<br />

Munde eines mitteleuropäischen Staatsmannes die Sehnsucht der Menschen bejaht worden, sich von dem furchtbarsten<br />

Erdenfluche, unter dem sie je seit Erschaffung ihren Nacken gebeugt hielt, durch ein Machtwort über sich selbst, also<br />

durch den Aufstand der Menschenwürde zu befreien, vom Militarismus nicht als einer wirtschaftlichen Last allein, sondern<br />

von dem Alpdruck der militaristischen Lebensanschauung, und nicht mehr jener, die einst als das Vorrecht eines<br />

Berufs das Leben auf die Spitze eines Säbels gestellt hat, sondern der Geistesrichtung, die das Leben unter dem Verhängnis<br />

tödlicher Zufallswirkungen und einer meuchelmörderischen Technik zum Ersatz für Menschenrechte und zur Sicherung<br />

merkantiler Interessen gefangen hält…<br />

Das tägliche Leben, das tägliche Sterben. Halten wir’s durch! Warten wir ab, wie lange diese Bedingungen ihre Tragfähigkeit<br />

und Geltung bewahren. Es kommt die Zeit, wo stärker als der siegreichste Staat die Erkenntnis sein wird, daß<br />

kein Machtzuwachs, aber selbst nicht die Machterhaltung den Verlust an Lebenswerten, den sie bedingen, lohnen kann.<br />

Ich spreche gegen die Hochverräter der Menschheit! Ich spreche im Namen einer Irredenta des sittlichen Ideals! Die in<br />

der deutschen Ideologie befangene Welt weiß es nicht, aber ich habe schon im Jahre 1914 nicht gezweifelt, daß dies ein Religionskrieg<br />

ist, geführt von der nüchternsten Welt gegen eine, die die eigene Nüchternheit mit abgelegten Machtfetzen<br />

‚aufmachen’ und gar exportieren wollte. Ich erlebe die Genugtuung, daß diese schmerzlichste Intuition nun von Männern,<br />

die im praktischen Leben das Lügen nicht erlernt haben, bestätigt wird…<br />

Im Schlußteil der Rede greift Kraus die Meldung in der „Wiener Allgemeinen Zeitung“ vom 30.Oktober 1917<br />

auf, daß nach dem Krieg die „Heldengräber und Soldatengräber“ touristisch genutzt werden sollen, wogegen

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