I. Literatur
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Süßigkeit reifen kann um den, der darinnen sich verliert. – Sie haben, vergessen Sie das nicht, einen der größesten Götter<br />
des Weltalls in Ihrer Herkunft, einen, zu dem man sich nicht, wie zu jenem Christengott, irgendwann be-kehren kann<br />
– , Einen dem man gehört, von Volkeswegen, weil er einen von jeher in den Vätern gemacht und gestaltet hat, so dass<br />
jeder Jude in Ihm (in dem, den Keiner darf zu nennen wagen) eingesetzt ist, unausreißbar eingepflanzt in Ihm mit der<br />
Wurzel seiner Zunge!<br />
Ich habe ein unbeschreibliches Vertrauen zu jenen Völkern, die nicht durch Glauben an Gott gerathen sind, sondern die mittels<br />
ihres eigensten Volksthums, in ihrem eigenen Stamme, Gott erfuhren. Wie die Juden, die Araber ... Ihnen ist Gott Herkunft<br />
und darum auch Zukunft. Den Anderen ist er ein Abgeleitetes, etwas, wovon sie fort und wozu sie hinstreben als eigentlich<br />
Fremde oder Fremdgewordene, – und so brauchen sie immer wieder den Mittler, den Anknüpfer, den, der ihr Blut,<br />
das Idiom ihres Blutes, übersetzt in die Sprache der Gottheit. Die Leistung dieser Völker ist dann freilich der ‘Glaube’, sie<br />
müssen sich überwinden und erziehen ...; und darum entgleiten ihre Religionen so leicht ins Moralische, – während ein ursprünglich<br />
erfahrener Gott Gut und Böse nicht sondert und unterscheidet im Hinblick auf die Menschen ... Religion ist etwas<br />
unendlich Einfaches, Einfältiges. Es ist keine Kenntnis, es ist kein Inhalt des Gefühls ..., es ist keine Pflicht und kein Verzicht,<br />
es ist keine Einschränkung: sondern in der vollkommenen Weite des Weltalls ist es: eine Richtung des Herzens ...“<br />
Die wilden Zwanziger<br />
382 RINGELNATZ, JOACHIM, eigentlich Hans Gustav Bötticher, deutscher Schriftsteller und Kabarettist,<br />
1889-1934. L.S. „Dein Specht“. München 19.I.1927. 3 1/2 S. gr.-4°. Schwach gebräunt. Faltenrisse<br />
(ausgebessert). Mit Umschlag (Marke ausgeschnitten). (CHF 1’200.00)<br />
Humorvoller Brief an Fritz Otto („Mein lieber Pampig“) in Hersfeld, ein ehemaliges Mitglied der Besatzung des<br />
Minensuchboots „Caroline“, das Ringelnatz gegen Ende des Ersten Weltkriegs kommandiert hatte. – Ringelnatz,<br />
der an seinem Roman „Als Mariner im Krieg“ arbeitete, bedauert, seine alten Kameraden nicht besuchen<br />
zu können und gibt „Tips“ für eine Feier seines Freundes.<br />
„... Du wirst einst auch in diesem Buche lesen, und ob Du dann auch vielleicht verurteilst, dass dies und jenes überhaupt<br />
enthüllt oder zu offen beim Namen genannt ist, so wird Dir doch manches gute und schöne Erinnerungen wachrufen ...<br />
Freilich besuchte ich Dich gern einmal, aber was ich an kleinem Ruhm erwerbe, zieht mir das Schicksal wieder an Geld<br />
ab. Ich komme mit dem Muschelkalk“ (seine Ehefrau Leonharda Pieper) „noch immer so recht gut durch, aber mehr<br />
ergibt sich auch nicht ... Nun, zu Deinem Fest. Ich gebe Dir nachfolgend ein paar Tips ... / Ueberfahrt des Dampfers<br />
Columbus. – – – Einige Taue, Korkpfender, evtl. Rettungsring herumliegend oder aufgehängt. – – Ein Signalmast muß<br />
da sein oder wenigstens eine Signalleine, an der von Zeit zu Zeit ausser Wäschestücken (Schlüpfer), Strümpfen, Plakaten,<br />
Zeitungen auch Flaggen mit Aufschriften gehisst werden, wie zum Beispiel ‘Frische Weisswürste eingetroffen’. – –<br />
An allen Türen müssen Aufschriften sein wie ‘Zweite Kajüte’ oder ‘Rauchsalon’ oder ‘Pantry’. An der Damentoilette<br />
könnte stehen ‘Funkraum’ und an der Herrentoilette ‘Aussenbords’. Die Ausdrücke nicht allzu fachmännisch machen.<br />
– – Plötzlich ein Flaggensignal oder ein Kommando des Kapitäns ‘Mann über Bord’. Aus einer Versenkung oder unterm<br />
Klavier wird jemand heraus-, hervorgezogen. Zwecks Wiederbelebung müssen alle auf sein Wohl trinken. – – Seemannslieder<br />
werden gesungen ... – – Ein Radiotelegramm mit Unterschriften wird aufgegeben an Kuttel Daddeldu<br />
Dreimastbark Springburn Stiller Ozean. – Für zehn Pfennige wird den Herren von Herren, den Damen von Damen ein<br />
gefährlicher Strudel gezeigt, das heisst, man führt sie einzeln auf den Lokus und zieht am Strang ... – – – Signal ‘Eisberg<br />
voraus’ Es gibt einen Krach. Alle Lichter verlöschen für einige Minuten, Gejohle und Gejammere. Dann wieder hell. Eine<br />
Dame wird als Retterin des Schiffes gefeiert. An ihrem warmen Busen wäre der Eisberg im letzten Moment geschmolzen.<br />
Die Reste können bei der Gelegenheit als Speiseeis oder Eisgetränke serviert werden ... Die Freiheitsstatue von Amerika<br />
kommt in Sicht. Durch ein Doppelglas wird irgendwelche kleine Statue gezeigt, die in einer Ofenröhre oder sonstwie im<br />
Schatten steht. – – Tanz. Mitten dazwischen zwei grelle Signale ‘Schiffbruch’ und ‘Rette sich wer kann!’ Wüstes<br />
Durcheinander. Alles Tauwerk wird fortgeschleppt. Paare umschlingen sich ertrinkend. Edle Rettungsszenen, und so<br />
weiter. Dann Heimweg oder gemütliches unseemännisches Beisammensein der Geretteten ...“<br />
383 RINGELNATZ, JOACHIM, 1889-1934. L.S. Köln 11.IX.1929. 1/2 S. gr.-4°. Kleine Randeinrisse unterlegt.<br />
(CHF 400.00)<br />
188<br />
An eine Dame – „oder sind Sie ein Mann? Ich bin sehr beschämt darüber, dass ich sagen muss, ich weiss garnicht wer<br />
Sie sind. Ich spreche jeden Tag so viele Menschen und lerne jeden Tag so viele neue kennen ... Wenn Sie Lust haben, kommen<br />
Sie doch am ... Freitag abends ... einmal an einen neu gegründeten Ringelnatz-Stammtisch zu Denekes Weinlokal ...“<br />
Beiliegend ein Brief seiner Witwe Leonharda geb. Pieper, den Ankauf von Ringelnatz-Briefen betreffend (L.S.<br />
„Frau M. Ringelnatz“, 1938); ferner beiliegend 2 Autographen seines Vaters, des Schriftstellers Georg Bötticher<br />
(1 Eigenhändiges Gedicht mit Unterschrift und 1 L.A.S., 1895, je 3 S. gr.-8°).