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I. Literatur

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„Auch trete ich Ostern, mit einem botanischen Werckchen, meine naturhistorische Laufbahn an,<br />

in welcher ich wohl eine Zeitlang fortwandern werde“<br />

124 GOETHE, JOHANN WOLFGANG VON, 1749-1832. L.A.S. „G“. Weimar 28.II.1790. 1 Doppelblatt 4°, die<br />

ersten 3 Seiten beschrieben. Einriss im Bug, sonst gut erhalten. Montagespur auf der Rückseite.<br />

(CHF 18’000.00)<br />

70<br />

An den Komponisten Johann Friedrich Reichardt (1752-1814) in Berlin, der ihm einen Brief des Schauspielers<br />

Friedrich Ludwig Schröder (1744-1816) übermittelt hatte. Diesen nimmt Goethe zum Anlaß, sich über den Geschmack<br />

der Deutschen in Theaterfragen auszubreiten. Der Brief setzt ohne Anrede ein; Goethe schließt mit<br />

der Ankündigung des Antritts seiner „naturhistorischen Laufbahn“.<br />

„Wundern Sie Sich nicht, wenn ich den Schröderischen Brief nicht gar so toll finde wie Sie ihn finden. Ich wußte voraus<br />

daß er so antworten würde, da ich seine Verhältniße kenne. Ein deutscher Schauspiel Direcktor wäre thöricht anders zu<br />

dencken. Von Kunst hat unser Publikum keinen Begriff und so lang solche Stücke allgemeinen Beyfall finden, welche von<br />

mittelmäßigen Menschen ganz artig und leidlich gegeben werden können, warum soll ein Direcktor nicht auch eine sittliche<br />

Truppe wünschen, da er bey seinen Leuten nicht auf vorzügliches Talent zu sehen braucht, welches sonst allein den<br />

Mangel aller übrigen Eigenschaften entschuldigt.<br />

Die Deutschen sind im Durchschnitt rechtliche, biedere Menschen aber von Originalität, Erfindung, Charackter, Einheit,<br />

und Ausführung eines Kunstwercks haben sie nicht den mindesten Begriff. Das heißt mit Einem Worte sie haben<br />

keinen Geschmack. Versteht sich auch im Durchschnitt. Den rohren Theil hat man durch Abwechslung und Übertreiben,<br />

den gebildetern durch eine Art Honettetät zum Besten. Ritter, Räuber, Wohlthätige, Danckbare, ein redlicher biederer<br />

Tiers Etat, ein infamer Adel pp. und durchaus eine wohlsoutenirte Mittelmäßigkeit, aus der man nur allenfalls abwärts<br />

ins Platte, aufwärts in den Unsinn einige Schritte wagt, das sind nun schon zehen Jahre die Ingredienzien und der<br />

Charackter unsrer Romane und Schauspiele. Was ich unter diesen Aspeckten von Ihrem Theater hoffe, es mag dirigiren<br />

wer will, können Sie dencken.<br />

Machen Sie es indeß immer zum Besten. Ihre Bearbeitung von Elmiren freut mich sehr und wünschte Sie hier bey mir<br />

schon am Claviere zu sehen…<br />

Tasso haben Sie vielleicht schon. Faust kommt Ostern und wird auch Ihnen manches zu thun geben.<br />

Auch trete ich Ostern, mit einem botanischen Werckchen, meine naturhistorische Laufbahn an, in welcher ich wohl eine<br />

Zeitlang fortwandern werde…“<br />

Die Kritik über den Geschmack der Deutschen könnte nach Ansicht eines Vorbesitzers einen unausgesprochenen<br />

Seitenhieb auf Schiller darstellen: Goethe hatte nach seiner Italienreise endgültig seine ‚Sturm und<br />

Drang’-Zeit überwunden und zu einer harmonischen Klassik gefunden und war über die stürmischen Frühwerke<br />

des Jüngeren verärgert.

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