I. Literatur
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ist mir auch noch oft so, daß es mir nicht immer so ist, daran mag ich nicht denken, weil mir dann viele stille Leiden, die<br />
schon längst begraben sein sollten, wiederkehren, und wie Geister einer verlorenen schönen Welt vorüberschweben.<br />
Ich liebe dich recht herzlich, und gesegnet sei der Winter, wenn ich in ihm mit dir eine innige Freundschaft erbauen kann.<br />
Du bist viel jünger als ich, aber das thut nichts, denn auch ich muß wieder jung werden, wenn ich glüklich werden soll.<br />
Deine Jugend stört mich nicht, denn ich ehre und suche die Zeit nicht, ich suche die Liebe, die stille freundliche Zuneigung<br />
der Gemüther, das reine innere Leben, und den zarten Sinn, und die ewige Jugend. Wenn du mich lieben kannst<br />
und schweigen, so sollst du meine einzige Freundinn werden, denn mein Leben ist so, daß es nur der zarten Unschuld<br />
begreiflich ist, und nur die Menschen haben mich, bis izt sonderbar gefunden, die sich in einem leeren Treiben verlohren<br />
haben.<br />
– Du kennst mich noch nicht, ich bin im Herzen anders als von aussen, das äußere das hat alles die Fluth der Welt, und<br />
der Schiksale, die über mich hingerauscht ist weg gerissen, aber in meinem Herzen ist es noch grün, in meinem Herzen<br />
sind noch viele stille Blumen, die sollen alle dein sein, wenn du mich lieben willst mehr als andere ... Sieh ich habe keinen<br />
unter den Geschwistern, der mich so liebt, daß ich viel aus ihm machen könnte, die haben alle keine Zeit darzu, und sind<br />
mit so vielen kleinen äußerlichen Dingen umschlungen, daß ihnen das Herz ziemlich zusammengeschnürt ist, und<br />
schmerzt mich recht innerlich, woran sie aber nie denken können, daß je selbstständiger und vollkomner jedes einzelne<br />
wird, je mehr erweitert sich die Kluft, die es vom andern trennt, und ich werde am allerweitesten von allen zu stehen<br />
kommen, weil meine Bestimmung zur Kunst, mich ganz von ihnen trennen wird ...<br />
Aber wir sollen ja auch Opfer bringen im Leben, und das meinige ist das eines Priesters, ich habe bis izt nur Opfer gebracht.<br />
– Fürchtest du mich nicht, mit meinen ernsten stillen Gedanken, mit meiner Liebe, die nicht so für heute und<br />
morgen ist, so sei mir willkommen du reines zartes Herz! sei mir willkommen in meinem Leben, du freundlicher Geist,<br />
der mich geleiten will. Aber bedenke es wohl, ob dir es ernst ist, ich brauche viel Liebe, biß ich genug habe, mich verlierest<br />
du dann nicht wieder, wenn du auch von mir läßt, denn ich bin treu und einig mit mir.<br />
Sieh! ich bin noch nicht eine halbe Stunde von dir und schreibe dir so, ... wer deiner Brüder oder Schwestern schriebe dir<br />
so.<br />
Aber sei ruhig in dir, und verschwiegen, waß du von mir erhälst ist nur für dich, ich gebe mich wenigen….“<br />
Der sieben Jahre ältere Clemens Brentano hatte sich Bettina bei Besuchen in Frankfurt a.M., wo sie nach dem<br />
Tod der Eltern bei ihrer Großmutter Sophie von La Roche lebte, näher angeschlossen. Den sich entwickelnden<br />
poetischen Briefwechsel zwischen den Geschwistern gab Bettina 1844, einem Wunsch Clemens’ folgend,<br />
unter großen dichterischen Freiheiten heraus („Clemens Brentano. Frühlingskranz“).<br />
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Clemens Brentano an Friedrich Schlegel<br />
BRENTANO, CLEMENS, 1778-1842.L.A.S. „Clemens Brentano“. (Prag, Anfang Juli 1813.) 2 S. gr.-4°. Kleine<br />
Randläsuren. (CHF 8’000.00)<br />
Großartiger Brief an Friedrich Schlegel in Wien, mit dem er sich 13 Jahre zuvor entzweit hatte, da er ihm die<br />
Schuld an dem zeitweiligen Abbruch seiner Beziehung zu Sophie Mereau – seiner späteren Frau – gab. Sophie<br />
war 1806 im Kindbett gestorben.<br />
„Eingedenck manichfacher Belehrung, Aufmunterung und Schonung, die ich Ihrer ehemaligen Güte für mich zu danken<br />
habe ergreife ich im Begriffe, auf längere Zeit in Wien zu leben, die Feder, um zu versuchen, ob es in ihrer Güte und ihrem<br />
Urtheil liegt, ein finsteres Misverständniß und ein mir sehr drückendes Mistrauen, das mir zwischen meine einst so<br />
aufrichtige Liebe zu Ihnen und ihre Person getreten war, von ihrer Seite fallen zu lassen, und mir wieder eine herzliche<br />
und kindliche Annäherung an ihr Leben und Denken zu vergönnen. Zu aller Selbsterbauung werden die Steine aus dem<br />
Herzen der Freunde gebrochen, aber alle Wunden schließen sich wieder, und waß wäre Schönes an der Zeit, wenn man<br />
nicht in sie wie ein Meer das Unwürdige in Sich und andern versenken könnte. Begehren Sie von mir zu wissen, waß<br />
mich lange mit einem tiefen und bitteren Schmerze von Ihnen gewendet hatte, so werde ich es Ihnen von ganzer Seele<br />
aufrichtig beichten, Sie können zwar nichts, als dadurch erfahren, wie wunderbar man in das Leben eines andern, vielleicht<br />
in aller Unschuld hineinlebt. Ehe Sie es begehren aber wage ich es nicht zu thun, denn es hängt mir mit einer schönen<br />
Seele zußammen, die mir mit den besten Strahlen meines Lebens untergegangen ...<br />
Alles was vielleicht einst ihr gütiges Interesse für mich erregt haben könnte, ist noch in mir, und hoffentlich entwickelter<br />
und ihrer Theilnahme würdiger, wenn ich gleich in Sachen des Weltlebens eben so ungeschickt und unerfahren sein<br />
mag! Sie kennen gewiß ... in sich selbst feierliche Momente, in denen Man unter der gütigen Vermittlung des gerechten<br />
Gottes alle seine Fehler wie einen irdischen Leib niederlegt ..., hindern Sie nicht in meiner Seele einen solchen<br />
willkührlichen ruhigen Tod und lassen Sie mich wieder frei und versöhnt neben Ihnen das gemeinsame Licht anschauen,<br />
um das wir uns alle bewegen, biß wir darin verbrennen, oder biß es uns verklärt. Wahrhaftig, verehrter Mann, es ist<br />
nichts böses in mir, und kein todes Meer, an dem rothwangigte Aepfel wachsen, die Asche umschließend, ich kann und<br />
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