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Clancy, Tom - Jack Ryan 05 - Das Echo aller

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Der Waldarbeiter riß die Säge heraus, ließ sie fallen und wich mit seinem<br />

Helfer um zehn Meter zurück. Beide beobachteten den Stamm. Sollte er<br />

schnellen, würde es gefährlich.<br />

Doch er neigte sich sauber und wie immer scheinbar quälend langsam. Der<br />

Waldarbeiter verstand, warum diese Phase in Dokumentarfilmen am häufigsten<br />

auftauchte. Der Baum schien zu ahnen, daß er sterben mußte, er wehrte<br />

sich vergebens, und das Ächzen des Holzes klang wie ein verzweifeltes Stöhnen.<br />

Mag sein, dachte er, aber schließlich ist es ja nur ein Baum. Der Schnitt<br />

öffnete sich, der Baum fiel. Nun bewegte sich der Wipfel sehr schnell, aber die<br />

Gefahr drohte an der Schnittstelle, und die behielt er im Auge. Als der Stamm<br />

sich um fünfundvierzig Grad neigte, riß das Holz und schnellte über den<br />

Stumpf hoch. Die durch die Luft sausende Krone verursachte einen Riesenlärm.<br />

Wie schnell, fragte er sich, fällt sie? Schneller als der Schall? Nein, wohl<br />

kaum... mit einem dumpfen Schlag schlug der Baum auf den weichen Waldboden<br />

auf, prallte einmal ab und kam dann zur Ruhe. Schade eigentlich, nun<br />

war der majestätische Baum bloß noch Holz.<br />

Zur Überraschung des Waldarbeiters kam nun der Japaner herüber, berührte<br />

den Stamm und sprach etwas, das ein Gebet gewesen sein mußte.<br />

Erstaunlich, dachte er, wie ein Indianer. Der Waldarbeiter wußte nicht, daß<br />

der Schintoismus eine animistische, dem Glauben der amerikanischen Ureinwohner<br />

nicht unähnliche Religion war. Bat der Fremde den Geist des Baumes<br />

um Vergebung? Der kleine Japaner trat auf den Waldarbeiter zu.<br />

"Sie haben großes Geschick", sagte er und verneigte sich tief.<br />

"Danke", erwiderte der Waldarbeiter nickend; dies war der erste Japaner,<br />

dem er begegnete. Ein Gebet für einen Baum; der Mann hat Stil, dachte er.<br />

"Eine Schande, so ein prächtiges Gewächs töten zu müssen."<br />

"Ja, da haben Sie wohl recht. Kommt das Holz wirklich in eine Kirche?"<br />

"Ja. Solche Bäume gibt es bei uns nicht mehr. Wir brauchen vier riesige<br />

Balken, je zwanzig Meter lang. Hoffentlich liefert dieser Stamm alle", meinte<br />

der Japaner mit einem Blick auf den gefällten Waldriesen. "Die Tradition des<br />

Tempels schreibt nämlich vor, daß alle aus demselben Stamm kommen müssen."<br />

"Finde ich auch", meinte der Waldarbeiter. "Wie alt ist der Tempel denn?"<br />

"Zwölfhundert Jahre. Die alten Balken wurden vor zwei Jahren bei einem<br />

Erdbeben beschädigt und müssen bald ausgetauscht werden. Hoffentlich hält<br />

der Ersatz mindestens ebenso lange. Es war ein schöner Baum."<br />

Unter Aufsicht des Japaners wurde der Stamm in einigermaßen überschaubare<br />

Stücke geschnitten. Dennoch war der Abtransport problematisch. Die<br />

Firma hatte deshalb Spezialgeräte bereitgestellt und berechnete für diesen<br />

Auftrag eine Riesensumme, die der Japaner, ohne mit der Wimper zu zucken,<br />

beglich. Der Mann bat sogar um Verständnis für die Entscheidung, den Stamm<br />

nicht vom Sägewerk der Firma verarbeiten zu lassen. <strong>Das</strong> sei eine Frage der<br />

Religion, erklärte er langsam und deutlich, und bedeute keine Herabsetzung<br />

der amerikanischen Arbeiter. Ein Manager nickte. Ihm war es recht; der Baum<br />

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