Lateinische epistemische Partikeln - VU-DARE Home - Vrije ...
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Zweite Person 135<br />
Im letzten Beispiel spielt auch der Adressat mit: Der Sprecher geht davon aus, dass es<br />
auch für den Adressaten evident ist, also entspricht er mit seinem Benehmen den Erwartungen<br />
des Adressaten. Vgl. Beispiel 24, wo auch quantum debeo anzeigt, dass Erwartung<br />
eine wichtige Rolle spielt. 19<br />
24. CIC. ad Brut. 4, 6 de Cicerone meo …, si tantum est in eo, quantum<br />
scribis, tantum scilicet, quantum debeo, gaudeo.<br />
Was meinen Cicero betrifft, so freue ich mich, wenn so viel in ihm<br />
steckt, wie du schreibst, natürlich so sehr, wie es sich gehört.<br />
Videlicet kommt kaum mit einer Verbform der ersten Person vor; 20 dies entspricht<br />
der Hypothese, dass videlicet anders als scilicet nicht auf Erwartungen basiert. Mit der<br />
ersten Person findet man videlicet nur in einem ironischen Kontext (siehe auch<br />
§12.3.8.2). 21 Man könnte sagen, dass der Sprecher sich in ironischen Kontexten (Beispiel<br />
25) die Perspektive des Adressaten vorstellt: „du meinst sicher, dass wir meinen würden,<br />
dass etc.‟; dies würde die Kombination einer ersten Person mit videlicet erklären.<br />
25. CIC. Verr. II 5, 54 de consilii sententia libenter ait se facere itaque<br />
perscribit; quid si hoc verbo non esses usus „libenter‟? nos videlicet<br />
invitum te quaestum facere putaremus.<br />
Er sagt, dass er gerne der Meinung seiner Berater folge, und so schreibt<br />
er es auch. Was aber, wenn du dieses Wort „gerne‟ nicht benutzt hättest?<br />
Dann würden wir sicher meinen, dass du ungern Gewinn machst.<br />
12.3.3. Zweite Person<br />
Ein evidentieller Marker in Kombination mit einem Verb in der zweiten Person ist ebenfalls<br />
interessant (siehe obviously §12.7.1). Es kann auf Inferenz basieren, wie „offensichtlich‟<br />
in Beispiel 26, oder auf Erwartungen, die auch beim Adressaten angenommen werden,<br />
wie „natürlich‟ in Beispiel 26. Hier würde man videlicet bzw. scilicet erwarten. In<br />
Beispiel 27 mit scilicet geht es wieder um das Kreieren einer gemeinsamen Basis mit dem<br />
Adressaten, wonach dann ein Einwand, oder in diesem Fall fast ein Vorwurf, folgt. Ob<br />
der Sprecher sich wirklich sicher ist, wie es in diesem Beispiel der Fall zu sein scheint,<br />
oder nur spekuliert über die Gedanken oder das Benehmens einer zweiten Person, ist nur<br />
vom Kontext abhängig. So meint Venus in Beispiel 28 zwar, dass sie richtig interpretiert,<br />
19 Andere Beispiele mit debeo im Kontext: CIC. Att. 4, 6, 1 de Lentulo scilicet sic fero ut debeo.<br />
fam. 9, 23 tuli scilicet moleste, ut debui (Beispiel 13). 13, 26, 2 tanto scilicet studio, quanto<br />
intellegis debere me petere.<br />
20 Bei scilicet ungefähr 21,9% der Fällen in Prosa, wo es eine finite Verbform gibt (Nebensätze<br />
nicht mitgezählt), videlicet 4,3% (p < 0,0001, extrem signifikant, siehe Kapitel 8.1).<br />
21 Es gibt eine nicht ironische Stelle, wo die erste Person zwar nicht das Subjekt, aber das Agens<br />
ist: CIC. Sulla 21 quo in magistratu non institutum est a me videlicet regnum, sed repressum. Als<br />
Variante für a me videlicet gibt es a me iudices, was vielleicht vorzuziehen ist; alle Editionen lesen<br />
aber videlicet, das allerdings öfter in den Handschriften mit iudices verwechselt wird (Berry,<br />
1996). Auch die Kombination von videlicet mit non … sed ist ungewöhnlich.