Lateinische epistemische Partikeln - VU-DARE Home - Vrije ...

Allgemeine Funktion 75
ärgert reagiert). Wie in Beispiel 11 gibt es auch in nicht von den Editionen als Fragen
gekennzeichneten Sätzen explizite Hinweise auf das, wovon der zweite Sprecher denkt,
dass es der erste Sprecher gemeint hat, in diesem Fall mittels dicis „du meinst‟. 10 Der
Sprecher möchte mit oder ohne diese Hinweise seine Interpretation dem ersten Sprecher
nur vorlegen, wobei man sich einen fragenden Ton vorstellen kann („du meinst …?‟).
9. TER. Eun. 563-4 nostin hanc, quam amat frater? :: novi: nempe, opinor,
Thaidem. ::
istam ipsam. :: sic commemineram.
Du kennst die Frau, die mein Bruder liebt? :: Die kenne ich: (Du
meinst) nempe, glaube ich, Thais. :: Genau. :: So hatte ich es in Erinnerung.
10. PLAVT. Mil. 806-8 hoc facito, miles domum ubi advenerit,
memineris ne Philocomasium nomines. :: quem nominem? ::
Diceam. :: nempe eandem, quae dudum constitutast :: pax, abi.
Wenn der Soldat heimgekommen ist, denke daran, dass du
Philocomasium nicht bei ihrem Namen nennst. :: Wie soll ich sie dann
nennen? :: Dicea. :: nempe so, wie es schon lange ausgemacht ist. :: Hör
auf, geh weg!
11. PLAVT. Mil. 13-6 quemne ego servavi in campis Curculioniis …? ::
memini, nempe illum dicis cum armis aureis.
Der, den ich auf den Kornwurmfeldern gerettet habe …? :: Ich erinnere
mich, nempe du meinst den mit der goldenen Rüstung.
10.2.3. Allgemeine Funktion
Mit der Funktion von nempe in Fragen als Hintergrund, können wir, vorausgreifend auf
das, was weiter unten erörtert werden wird (§10.3), die folgende, allgemeinere Funktion
dieser Partikel definieren:
nempe ist eine Partikel auf der Interaktionsebene, mit der der Sprecher
einen Appell an den Adressaten richtet, sein „Commitment‟ zum Inhalt
der Proposition zu geben.
Der Sprecher möchte die Verantwortung für den Inhalt bei dem Adressaten legen. 11 Dazu
versetzt er sich in die Perspektive des Adressaten und sagt, was jener hätte sagen oder
denken können; er versucht sozusagen, dessen Gedanken zu lesen. Man könnte abhängig
von dem Kontext mit „du meinst ...?‟ bzw. „oder?‟ übersetzen. Damit appelliert der Sprecher
an die Zustimmung des Adressaten.
10 Andere Beispiele: PLAVT. Merc. 776 vis. BRVT. Cic. ad Brut. 24, 4 putasti. FRONTO p. 159,
4 vis.
11 Hier sieht man genau den Unterschied zwischen dem „locuteur‟ (Sprecher) und dem
„énonciateur‟, der die Verantwortung oder die Perspektive der Proposition inne hat (siehe Kapitel
8.2.2).