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§7.2<br />
seitig das Gesicht zu wahren. Manche Handlungen bedrohen automatisch das Gesicht<br />
(„face threatening act‟ oder FTA). Handlungen, die das negative Gesicht bedrohen, sind<br />
z. B. Befehle und Vorschläge, die eine Aktion vom Adressaten erwarten; oder ein Versprechen,<br />
das eine positive Aktion vom Sprecher dem Adressaten gegenüber bedeutet,<br />
womit Druck auf den Adressaten ausgeübt wird, zu reagieren; oder ein Ausdrücken von<br />
Gefühlen des Sprechers dem Adressaten gegenüber. Handlungen, die das positive Gesicht<br />
bedrohen, tun sich auf, wenn der Sprecher die Gefühle oder Bedürfnisse des Adressaten<br />
verletzt, z. B. indem er etwas vom Adressaten missbilligt, oder dessen Selbstbild missachtet.<br />
Dies alles sind Bedrohungen des Gesichts des Adressaten, der Sprecher kann aber<br />
auch sein eigenes Gesicht bedrohen. Sein negatives bedroht er, indem er Dank äußert,<br />
oder sich entschuldigt, oder ungern etwas verspricht; sein positives, indem er ein Kompliment<br />
annimmt oder ein Eingeständnis macht oder sich selbst erniedrigt. Bedrohungen<br />
des positiven und negativen Gesichts können sich überschneiden. In späteren Erweiterungen<br />
dieser Theorie kann es auch Handlungen geben, die das Gesicht verstärken (Kerbrat-<br />
Orecchioni, 1997, 13 f.); darauf gehe ich hier nicht weiter ein.<br />
Außer wenn der Sprecher lieber ein FTA mit maximaler Effektivität ausführen will<br />
als sein Gesicht oder das des Adressaten zu wahren, wird er die Bedrohung des FTA's<br />
minimalisieren wollen. Abhängig von der Einschätzung des möglichen Gesichtsverlusts<br />
kann der Sprecher verschiedene Strategien wählen. So kann er:<br />
1) ganz offen sagen, was er meint;<br />
2) etwas vorsichtiger sein, wozu er „positive‟ oder „negative‟ Höflichkeit benutzen kann<br />
(siehe unten);<br />
3) sich indirekt ausdrücken (z. B. mittels Ironie, rhetorischen Fragen).<br />
Ein Gesprächsteilnehmer wird nicht eine Strategie wählen, die weniger risikovoll ist als<br />
nötig, da dann der FTA als bedrohlicher, als dieser eigentlich ist, aufgefasst werden kann.<br />
Positive Höflichkeit äußert man, indem man zeigt, dass die eigenen Wünsche denen des<br />
Adressaten ähneln. Der Sprecher geht auf den anderen zu, vor allem, indem er die Gemeinsamkeit<br />
betont. Der Sprecher kann z. B. zeigen, dass was der Adressat will, für den<br />
Sprecher auch interessant ist oder er kann betonen, dass beide zur der gleichen Gruppe<br />
gehören oder, allgemeiner, gleiche Meinungen haben. Der Sprecher kann auch vermitteln,<br />
dass beide Partner in ihren eigenen Interessen handeln, indem z. B. beide Vorteile aus<br />
einer Aktion erlangen werden. Oder der Sprecher kann einfach die Wünsche des Adressaten<br />
erfüllen. Wie wir sehen werden, kann scilicet hierzu verwendet werden (Kapitel<br />
12.4.2). Negative Höflichkeit ist darauf gerichtet, zu vermeiden, den anderen zu behelligen.<br />
Der Sprecher benutzt sie z. B., wenn er direkt zur Sache kommt oder zeigt, dass er<br />
den anderen nicht behelligen will. Andere Möglichkeiten sind, dass er nicht annimmt,<br />
dass der Adressat das Gleiche wie er selbst will, oder den Adressaten zu nichts zwingt<br />
oder bereit ist zu kompensieren. Manchmal muss der Sprecher allerdings einen Kompromiss<br />
suchen, z. B. wenn es sowohl sein eigenes Gesicht als das des Adressaten wahren<br />
will. Die positive Höflichkeit ist Brown & Levinson zufolge auf das positive Gesicht gerichtet,<br />
die negative auf das negative Gesicht. Allerdings wird sich bei scilicet herausstellen,<br />
dass positive Höflichkeit auch auf das negative Gesicht gerichtet sein kann (vgl.<br />
Kerbrat-Orecchioni, 1997, 13; Watts, 2003, 93). So verlangt Cicero in Beispiel 1 etwas<br />
von Atticus, nämlich dass dieser ihm Bericht erstattet, was typisch für eine Bedrohung