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74<br />
§10.2.2<br />
des Adressaten zu formulieren („du meinst …?‟) (Beispiel 7 iubes; hier ist der Sprecher<br />
übrigens eher überrascht und nicht zuversichtlich; Beispiel 8 vis). 8<br />
7. PLAVT. Men. 1029-30 liber esto atque ito, quo voles. ::<br />
nempe iubes? :: iubeo hercle, si quid imperi est in te mihi.<br />
(Herr) Du sollst frei sein und gehen, wohin du willst. :: (Sklave) nempe<br />
das befiehlst du? :: (Herr) Das befehle ich, bei Herkules, wenn ich irgendeine<br />
Befehlsgewalt über dich habe.<br />
8. TER. Andr. 194-5 non hercle intellego. :: non? hem. :: non, Davos sum,<br />
non Oedipus. ::<br />
nempe ergo aperte vis quae restant me loqui? :: sane quidem.<br />
Bei Herkules, ich verstehe das nicht. :: Nicht? Tja. :: Nein, ich bin Davos,<br />
nicht Oedipus. :: nempe du willst also dass ich den Rest klar und<br />
deutlich erzähle? :: Genau.<br />
Genau hieraus kann man die Funktion von nempe in Fragen erschließen: Der Fragende<br />
gibt eine Interpretation, von der er wissen möchte, ob sie richtig ist. Dies stimmt überein<br />
mit Morris (1890, 34): “Though perhaps properly printed with a question mark, these sentences<br />
are not really interrogative. They add an interpretation, more or less hesitating and<br />
conjectural, of what has been said by the other speaker.” (vgl. oben Langen in seiner Beschreibung<br />
der weiteren Entwicklung). Bei Plautus und Terenz ist diese interpretative<br />
Funktion der Wörter des ersten Sprechers noch ganz klar, später wird nempe in Fragen<br />
etwas freier verwendet: als Interpretation des Handelns oder der Gedanken des Adressaten,<br />
wie wir in Beispiel 6 gesehen haben.<br />
Die Partikel signalisiert dabei selbst keine Gewissheit oder Verwunderung, sondern<br />
leitet nur eine Interpretation ein. In den Fragen selbst kommen außerdem keine Wörter<br />
vor, die Sicherheit oder Gewissheit ausdrücken (außer ev. der interaktionalen Partikel<br />
ergo s. u. §10.4.1), was darauf hinweist, dass der Fragesteller sich nicht schon im Voraus<br />
der Antwort sicher ist. 9 Es gibt auch keine Negationen im Fragesatz: Der Fragende möchte<br />
den Adressaten nicht steuern, sondern nur wissen, ob er richtig interpretiert hat. Negationen<br />
steuern nämlich die Interpretation, indem sie immer eine Verneinung der positiven<br />
Variante sind (vgl. Martin & White, 2005, 118). Dass oft wiederum eine positive Reaktion<br />
auf diese Frage folgt, weist nicht so sehr auf Selbstverständlichkeit hin (pace Núñez,<br />
2001, 519), als vielmehr auf die Fähigkeit der meisten Gesprächsteilnehmer, richtig zu<br />
interpretieren.<br />
Ob die hier als Fragen präsentierten Stellen wirklich in einem fragenden Ton geäußert<br />
wurden, kann man schwer entscheiden, da auch eine Interpretation, die in einem<br />
Aussagesatz dem Gesprächspartner vorgelegt wird, an sich einer Frage sehr ähnlich ist.<br />
Daher handelt es sich eher um einen Übergang zwischen einer Äußerung und einer Frage<br />
(vgl. Morris, Langen und Hand, siehe Anm. 6 und vgl. Anm. 4). So könnte man sich umgekehrt<br />
nach vielen von nempe eingeführten Aussagesätzen, vor allem in Dialogen wenn<br />
eine bestätigende Reaktion folgt, durchaus ein Fragezeichen vorstellen (siehe z. B. 10,<br />
mit der Bestätigung istam ipsam, und 9, wo der Sprecher mit pax, abi allerdings eher ver-<br />
8 Z. B.: PLAVT. Aul. 293 dicis? Mil. 337 ais? 906 vis? CIC. Tusc. 5, 12 negas?<br />
9 Bei enim beispielsweise kommen solche Wörter durchaus vor, siehe §10.5.1.