Lateinische epistemische Partikeln - VU-DARE Home - Vrije ...
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236 §15.3.1.1<br />
15.3.1.1. Kommunikative Zwecke<br />
‘Commitment’-Marker spielen eine wichtige Rolle in der Argumentation und in der Kohäsion.<br />
Der Sprecher drückt nur sein ‘Commitment’ aus, wenn er einen Grund dazu hat.<br />
Er positioniert seinen Standpunkt immer in Hinblick auf den Adressaten, er kann sich<br />
zuversichtlicher darstellen als er ist, oder unsicherer, weil er z. B. den Adressaten überzeugen<br />
oder einbeziehen möchte. Je nach Kontext können die ‘Commitment’-Marker für<br />
verschiedene kommunikative Zwecke eingesetzt werden. Indem der Sprecher sich über<br />
den Bewusstseinsstand des Adressaten Gedanken macht, können diese Wörter auch eine<br />
Rolle unter dem Aspekt der Höflichkeit oder Freundlichkeit spielen. Auch um Ironie zu<br />
markieren, werden oft ‘Commitment’-Marker verwendet.<br />
Sowohl mit scilicet als mit videlicet und nimirum lehnt der Sprecher Alternativen ab,<br />
so dass sie nach der ‘Appraisal’-Theorie (siehe Kapitel 7.1) zu ‘dialogic contraction’ gehören.<br />
Der Sprecher möchte Widerspruch ausschließen, auch wenn vielleicht der Inhalt<br />
eigentlich gar nicht so evident ist, vor allem, wenn er eher spekuliert, z. B. darüber, was<br />
jemand denkt. Mit scilicet ruft der Sprecher Gemeinsamkeit, Solidarität hervor, genau<br />
das, was nach der ‘Appraisal’-Theorie ‘concurrence’ genannt wird. Wie wir bei den direktiven<br />
Sprechakten gesehen haben (§12.3.4), kann der Sprecher scilicet verwenden, um<br />
positive Höflichkeit auszudrücken. Bei videlicet ist die Situation anders: Wie scilicet wird<br />
es für ‘dialogic contraction’ verwendet, aber nur, wie nimirum, um etwas zu verkünden<br />
(‘pronounce’). Mit videlicet geht der Sprecher davon aus, dass etwas allen oder allgemein<br />
evident ist, wodurch es nicht geeignet ist, Solidarität auszudrücken.<br />
15.3.1.2. Kohäsiv<br />
Diskursmarker haben per Definition eine kohäsive Rolle, aber auch Satzadverbien oder<br />
<strong>Partikeln</strong> können eine solche als Nebeneffekt haben (siehe Einleitung Kapitel 7.4): vor<br />
allem scilicet, videlicet, nimirum, profecto, indem sie sowohl an einen vorhergehenden<br />
Satz anknüpfen (z. B. mit einer Begründung) oder einen folgenden hervorrufen können,<br />
in dem die Erklärung für das ‘Commitment’ folgt. Scilicet und videlicet scheinen als einzige<br />
öfters eine Erweiterungsphrase zu einem Substantiv oder einer Person einführen zu<br />
können, was auf die Entwicklung zu einem Diskursmarker hinweist, wie es sich dann<br />
auch in der Spätantike vollzogen hat.<br />
15.4. Entwicklung<br />
Obwohl das Latein aus der untersuchten Periode meist als sehr statisch angesehen wird,<br />
kann man bei genauerem Hinsehen dennoch Entwicklungen erkennen. Einerseits sieht<br />
man die etymologische Entwicklung, die stattgefunden haben muss, um von dem Ursprung<br />
des Wortes zu der Funktion/ Bedeutung aus unserer Periode zu kommen. Dies<br />
kann auch bestimmte Aspekte dieser Wörter erklären und damit klarer machen. Nachdem<br />
die meisten der ‘Commitment’-Marker ursprünglich Adverbialien waren und dann zu