Lateinische epistemische Partikeln - VU-DARE Home - Vrije ...
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152 §12.3.9<br />
Interessant ist hier, dass der Sprecher deutlich auf das reagiert, was der Adressat meint,<br />
oder besser gesagt des Sprechers zufolge meint (negas): Laut Adressaten hätte Cicero<br />
nicht bewaffnet nach Rom zurückkehren dürfen. Hierauf reagiert Cicro ironisch: als ob er<br />
je Gewalt anwenden würde.<br />
Ohne scilicet bzw. videlicet wäre der Adressat nicht so schnell geneigt, die Aussage<br />
als ironisch aufzufassen. Diese Wörter funktionieren also als ironisches Signal (siehe Kapitel<br />
7.3), indem sie eine Übertreibung bewirken: Es ist überhaupt nicht der Fall und<br />
schon gar nicht evident oder selbstverständlich.<br />
12.3.9. Kombination mit anderen <strong>Partikeln</strong><br />
Scilicet und videlicet werden nur selten mit anderen <strong>Partikeln</strong> kombiniert. Man könnte<br />
Diskursmarker erwarten, die eine Folgerung markieren. Mit itaque kommen beide aber<br />
nicht vor, videlicet einmal mit igitur (Beispiel 77), scilicet einmal mit ergo (APVL. apol.<br />
29, 2). Anscheinend weisen scilicet und videlicet schon genug daraufhin, dass eine Folgerung<br />
folgen könnte.<br />
77. (=41) CIC. leg. 2, 14 lex … illa, cuius vim explicavi, neque tolli neque<br />
abrogari potest. :: eas tu igitur leges rogabis videlicet, quae numquam<br />
abrogentur. :: certe, si modo acceptae a duobus vobis erunt.<br />
Das Gesetz, dessen Wesen ich erläutert habe, kann weder aufgehoben<br />
noch für ungültig erklärt werden. :: Du wirst dann natürlich Gesetze beantragen,<br />
die nie für ungültig erklärt werden können. :: Gewiss, wenn<br />
sie nur von euch beiden akzeptiert werden.<br />
Mit enim kommt scilicet zweimal vor 46 , videlicet sechsmal 47 . Die Kombinationen verstärken<br />
sich jeweils in ihrer ironischen Funktion: Es sind alle ironisch gefärbte Stellen.<br />
Mit tamen kommt videlicet nicht vor, scilicet jedoch schon (pace Spevak, 2005, 127),<br />
wenn auch selten 48 . Auffällig ist, dass videlicet 16-mal mit sed vorkommt, davon 6-mal<br />
bei Cicero, scilicet 11-mal, nicht bei Cicero; dies scheint eine autorspezifische Vorliebe<br />
zu sein.<br />
12.4. Pragmatische Motivation<br />
Der Sprecher kann verschiedene Gründe haben, einen evidentiellen Marker zu benutzen.<br />
Aus pragmatischer Sicht ist interessant, warum überhaupt gesagt wird, dass etwas evident<br />
bzw. selbstverständlich ist, warum ein Marker der Evidenz verwendet wird. Man muss<br />
46 QVINT. decl. 292, 3 und PS. QVINT. decl. 4, 8.<br />
47 CIC. Catil. 2, 12, Font. 29, Verr. II 2, 137, Brut. 289, Att. 13, 31, 3 und LIV. 32, 21, 31.<br />
48 GAIVS inst. 3, 175 in einem ut-Nebensatz, wo scilicet Skopus über ut hat und APVL. met. 4,<br />
23, 5, wo tamen korreliert mit quamquam (vgl. nicht aus meinem Korpus: GAIVS dig. 10, 2, 3 und<br />
18, 1, 35, 4). Bei LVCR. 1, 901 sollte man wohl scilicet, et … tamen lesen; in LVCR. 2, 468 steht<br />
scilicet als Verb mit einem AcI.