Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis) - gesamtausgabe
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362 V. Die Griindung<br />
doch, was die Wahrheit sei, ja sagar, was sie wert sei (VII,<br />
471)2.<br />
Dnd dennoch, Nietzsche fragt nicht urspriinglich nach der<br />
Wahrheit. Denn meist meint er mit diesem Wort immer »das<br />
Wahre«, und wo er nach dem Wesen des Wahren fragt, da geschieht<br />
dies in Verstrickung in die Dberlieferung und nicht aus<br />
einer urspriinglichen Besinnung derart, daB diese zugleich begriffen<br />
wird als wesentliche Entscheidung auch iiber »das<br />
Wahre«.<br />
Allerdings, wenn urspriinglicher gefragt wird, dann verbiirgt<br />
dies niemals eine gewissere Antwort, im Gegenteil, nur eine<br />
hohere Frag-wiirdigkeit des Wesens der Wahrheit; und diese<br />
Frag-wiirdigkeit brauchen WIT; denn ohne sie bleibt das Wahre<br />
gleichgiiltig.<br />
Nietzsche aber kommt in seiner Besinnung auf die»Wahrheit«<br />
nicht ins Freie, weil er<br />
1. die Wahrheit auf »das Leben« (» biologisch«-idealistisch)<br />
bezieht als Bestandsicherung desselben. »Das Leben« wird<br />
einfach als Grundwirklichkeit angesetzt und ihm der allgemeine<br />
Charakter des Werdens zugesprochen.<br />
2. Zugleich aber faBt Nietzsche ganz im Sinne der altesten platonischen<br />
Dberlieferung das »Sein« als das »Bestandige«,<br />
und als dieses ist es, yom Leben her und auf dieses zu gesehen,<br />
das Festgemachte und so jeweils»Wahre«.<br />
3. Dieser auf »das Leben« ausgerichtete und yom iiberlieferten<br />
Seinsbegriff her bestimmte Begriff der Wahrheit ist iiberdies<br />
ganz in der Bahn des Dberkommenen, insofem die Wahrheit<br />
eine Bestimmung und ein Ergebnis des Denkens und des<br />
Vor-stellens ist. Der Ansatz dieser gelaufigen Meinung bei<br />
Aristoteles.<br />
All dieses ungefragt Dbernommene verhindert ein urspriingliches<br />
Fragen nach dem Wesen der Wahrheit.<br />
2 F. Nietzsche, Zur Genealogie der Moral. In: Nietzsche's Werke (GroBoktavausgabe),<br />
Bd. VII. Stuttgart (Kroner) 1921, S. 471<br />
234. Die Frage nach der Wahrheit (Nietzsche)<br />
363<br />
Sofem es freilich fUr Nietzsche mitten innesteht in seinen<br />
letzten Besinnungen (vgl. seinen Satz tiber das Verhaltnis von<br />
Wahrheit (des Wissens) und der Kunst, vgl. die Lehre von der<br />
Perspektive der Triebe), gewinnt alles eine neue Lebendigkeit,<br />
die aber nicht hinwegtauschen darf iiber die Briichigkeit der<br />
Grundlagen, zumal dann nicht, wenn man bedenkt, daB<br />
Nietzsche doch in seiner Weise den Platonismus iiberwinden<br />
will.<br />
Zwar scheint nun doch Nietzsche trotz allem auch das Wesen<br />
der Wahrheit wieder in das »Leben« einbezogen zu haben.<br />
Aber ist er iiber die 'iVahrheit dieses Ansatzes »des Lebens«<br />
und damit des Willens <strong>zur</strong> Macht und der ewigen Wiederkunft<br />
des Gleichen ins klare gekommen? In seiner Weise wahl, denn<br />
er versteht diese Entwiirfe des Seienden als einen Versuch, den<br />
wir mit der »Wahrheit« machen. Diese <strong>Philosophie</strong> solI eine<br />
Bestandsicherung des »Lebens« als solchen sein, so zwar, daB<br />
sie es gerade in seinen uniiberholbaren Moglichkeiten freigibt.<br />
Dnd vermutlich liegt hierin ein Schritt in Nietzsches Denken,<br />
dessen AusmaB wir noch nicht ermessen, weil wir ihm zu nah<br />
sind und deshalb gezwungen, alles noch zu sehr in dem Gesichtskreis<br />
(»des Lebens«) zu sehen, den Nietzsche im Grunde<br />
tiberwinden wollte. Dmso notwendiger wird es fUr uns, ur<br />
/<br />
spriinglicher zu fragen und so gerade nicht in die Irrmeinung<br />
zu verfallen, das Fragen Nietzsches sei damit »erledigt«.<br />
Was Nietzsches eigenstes Denken so sehr erschwert und fast<br />
verhindert, ist die Einsicht, daB Wesung der Wahrheit besagt:<br />
Da-sein, d. h. inmitten der Lichtung des Sichverbergenden zu<br />
stehen und daraus Grund und Kraft des Menschseins zu schopfen.<br />
Denn trotz der Anklange des »Perspektivismus« bleibt die<br />
»Wahrheit« in das »Leben« eingerollt und das Leben selbst<br />
fast dinghaft ein Willens- und Kraftzentrum, das seine Erhohung<br />
und Dberhohung will.<br />
Jenes entriickte Hinausstehen in das Dnbekannte, das fUr<br />
Nietzsche gewiB Grunderfahrung war, konnte ihm nicht, wenn<br />
ich recht sehe, <strong>zur</strong> gegriindeten Mitte seines Fragens werden;