Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis) - gesamtausgabe
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564 V. Die Grundung<br />
und dieses darum nicht, weil er in der oben (S. 362) genannten<br />
dreifachen Verstrickung durch das Dberkommene festlag.<br />
Und so kommt es dahin, daB Nietzsche zunachst und noch<br />
langehin nicht aus seinem verborgensten Denkwillen begriffen,<br />
sondern in die gelaufigen Gesichtskreise des herrschenden Denkens<br />
und der Weltanschauungen des 19. Jahrhunderts geriickt<br />
wird, um in der Abhebung gegen sie und also doch mit ihrer<br />
Hilfe sein Eigenes und »Neues« zu finden und nutzbar zu machen.<br />
Doch die Art, wie die Auseinandersetzung mit Nietzsche<br />
seine Auffassung der »Wahrheit« bewaltigt und nicht bewaltigt,<br />
muB zu einem Eckstein der Entscheidung dariiber werden,<br />
ob wir seiner eigentlichen <strong>Philosophie</strong> zu ihrer Zukunft verhelfen<br />
(ohne »Nietzscheaner« zu werden), oder ob wir ihn »historisch«<br />
einordnen.<br />
Am tiefsten scheint Nietzsche in das Wesen der Wahrheit<br />
hinabzufragen, wo er die Frage aufnimmt: »Was bedeutet aller<br />
Wille <strong>zur</strong> W ahrheit?« und wo er das Wissen um diese Frage<br />
als »unser Problem« bezeichnet (VII, 482)3. Seine Losung ist:<br />
Wille <strong>zur</strong> Wahrheit ist Wille zum Schein und dieses notwendig<br />
als ein Wille <strong>zur</strong> Macht, Bestandsicherung des Lebens, und dieser<br />
Wille am hochsten in der Kunst, weshalb diese mehr wert<br />
als die Wahrheit. Aber der Wille <strong>zur</strong> »Wahrheit« ist sonach<br />
zweideutig: er ist als Festmachen Widerwille gegen das Leben<br />
und als Wille zum Schein als Verklarung Erhohung des Lebens.<br />
Was will dieser Wille bei uns, das ist Nietzsches Frage.<br />
Und doch ist auch diese Frage und dieses Wissen um diese<br />
Frage nicht urspriinglich (ganz abgesehen yom Ansatz des<br />
»Lebens« und der Auslegung yom »Sein«). Denn, was Wahrheit<br />
sei, gilt Nietzsche fiir ausgemacht, die Aus]egung, die er<br />
dem Wesen gibt (vgL S. 362 f.), fUr hinreichend gegriindet, um<br />
so gleich die scheinbar scharfere und urspriinglichere Frage<br />
(weil auf»Wille <strong>zur</strong> Macht« bezogen) aufzunehmen.<br />
3 F. Nietzsche, Zur Genealogie der Moral. a. a. 0., S. 482<br />
234. Die Frage nach der Wahrheit (Nietzsche)<br />
565<br />
Doch was ist Wahrheit und vor allem: woher wissen wir,<br />
was Wahrheit ist? Setzt die Frage, was Wahrheit sei, nicht<br />
schon die Wahrheit voraus, und was ist das fiir eine Voraus<br />
-Setzung, und wie holen wir sie ein?<br />
Wahrheit ist fiir Nietzsche eine Bedingung des Lebens, die<br />
selbst gegen das Leben ist. Sonach bedarf das Leben dieses Wogegen<br />
(was meldet sich hier? der nicht von Grund aus erfahrene<br />
und ins Freie gebrachte und nicht auf Vorstellung und Denken<br />
gegriindete Bezug zum »Seienden« als solchem?).<br />
Aber weil »das Leben« die Wirklichkeit schon ist ill Sinne des<br />
vieldeutigsten Idealismus, der sich dem Positivismus verschrieben<br />
hat, muB im voraus Wahrheit nur als bloBe Bedingung, in<br />
das Leben einbezogen, angesetzt werden. Es bleibt deshalb die<br />
letzte und scheinbar urspriingliche Frage lediglich die nach ihrem»Wert«:<br />
in welchem Sinne, ob herabsetzend, stillstellend,<br />
mitsichernd oder erhohend sie Bedingung des »Lebens« ist.<br />
Wie aber kommt es iiberhaupt zum MaBstab des»Wertes«<br />
fiir das Leben? Fordert dieses selbst Entscheidungen iiber seine<br />
Bedingungen? Welches Leben? Und wenn es solches fordert,<br />
dann ist die Frage, wie die Bedingungen selbst und die Entscheidungen<br />
dariiber zum »Leben« gehoren und was dann<br />
»Leben« heiBt.<br />
Wenn der Wille <strong>zur</strong> Macht das Dber-sich-hinaus-wollen ist<br />
und in dieser Weise Zu-sich-selbst-kommen, dann erweist sich<br />
die Wahrheit, freilich anders verstanden als Nietzsche, als die<br />
Bedingung des Willens <strong>zur</strong> Macht. Das Dber-sich-hinaus, wenn<br />
nicht nur eine zahlenmaBige Steigerung, sondern Eroffnung<br />
und Griindung, verlangt die Offenheit des Zeit-Raums.<br />
So gesehen ist Wahrheit nicht nur als Wille <strong>zur</strong> Wahrheit<br />
eine Bedingung des Lebens, sondern der Grund seiner essentia<br />
als Wille <strong>zur</strong> Macht.<br />
Allerdings zeigt sich hier die ganze Vieldeutigkeit des »Lebens«,<br />
und es bleibt die Frage, ob und wie hier eine Rangordnung<br />
ansetzbar ist etwa in Entsprechung zu Leibnizens Monadenlehre.<br />
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