Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis) - gesamtausgabe
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L<br />
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I. Vorblick<br />
fahr liegt nahe und wird durch das vielfach Unbewiiltigte in<br />
»Sein und Zeit« verstiirkt. Aber die MiBdeutung ist im Grunde,<br />
wenngleich nicht in der ausfiihrenden Dberwindung, gebannt,<br />
wenn von Anfang an die Grundfrage nach dem »Sinn des<br />
Seyns« als die einzige Frage festgehalten wird.<br />
Dann riickt das, was hier Ent-scheidung genannt ist, in die<br />
innerste Wesensmitte des Seyns selbst und hat dann nichts mit<br />
dem gemein, was wir das Treffen einer Wahl und dergleichen<br />
heiBen, sondern sagt: das Auseinandertreten selbst, das scheidet<br />
und im Scheiden erst in das Spiel kommen liiBt die Er-eignung<br />
eben dieses im Auseinander Offenen als der Lichtung fUr das<br />
Sichverbergende und noch Un-entschiedene, die Zugehorigkeit<br />
des Menschen zum Seyn als des Griinders seiner Wahrheit und<br />
die Zugewiesenheit des Seyns in die Zeit des letzten Gottes.<br />
Neuzeitlich gesonnen denken wir von uns aus und stoBen,<br />
wenn wir von uns wegdenken, immer nur auf Gegenstiinde.<br />
Diesen gewohnten Weg des Vor-stellens eilen wir hin und her<br />
und erkliiren in seinem Umkreis Alles und bedenken nie, ob<br />
nicht dieser Weg unterwegs einen Absprung zulasse, durch den<br />
wir erst in den >Raum< des Seyns springen, uns die Ent-scheidung<br />
er-springen.<br />
Auch wenn wir die »existenzielle« MiBdeutung der »Entscheidung«<br />
hinter uns lassen, steht noch die Gefahr einer anderen<br />
vor uns, die allerdings heute mit der vorigen besonders<br />
gem zusammengeworfen wird.<br />
Das Entscheidungshafte als das »Willentliche« und »MachtmiiBige«<br />
konnte im Gegensatz zum »System« begriffen werden<br />
mit der Berufung auf Nietzsches Wort: »Der Wille zum System<br />
ist ein Mangel an Rechtschaffenheit« (VIII, 64)1. Die Kliirung<br />
dieses Gegensatzes ist allerdings notig, weil die Entscheidung<br />
in den Gegensatz zum »System« kommt, aber in einem wesentlicheren<br />
Sinne, als selbst Nietzsche den Gegensatz gesehen<br />
hat. Denn fUr ihn ist »System« doch immer der Gegenstand der<br />
1 F. Nietzsche, Gotzen-Diimmerung. In: Nietzsche's Werke (GroBoktavausgabe),<br />
Bd. VIII. Leipzig (Kroner) 1919, S. 64<br />
4J. Das Seyn und die EntsCheidung<br />
»Systembauerei«, des nachtriiglichen Zusammenstellens und<br />
Ordnens. Aber sogar wenn wir Nietzsche eine gemaBere Auffassung<br />
vom Wesen des Systems zubilligen, muB gesagt werden,<br />
daB er das Wesen nicht begriff und begreifen konnte, weil<br />
er selbst fiir seine Fragen noch diejenige Auffassung des<br />
»Seins« (des Seienden) bejahen muBte, auf deren Grund und<br />
als deren Entfaltung das »System« entspringt: die Vorgestelltheit<br />
des Seienden als vorgreifendes Einigen, vor-stellen der Gegenstandlichkeit<br />
des Gegenstandes (die wesentliche Kliirung<br />
in Kants Bestimmung des Transzendentalen). »Ordnung« und<br />
Ubersichtlichkeit (nicht ordo des Mittelalters) sind erst Folgen<br />
des »Systematischen«, nicht sein Wesen. Und am Ende gehort<br />
<strong>zur</strong> Rechtschaffenheit gerade das »System«, als ihre innere Erfiillung<br />
nicht nur, sondern als ihre Voraussetzung. Allerdings<br />
meint Nietzsche mit »Rechtschaffenheit« ebensosehr ein Anderes,<br />
als er mit dem »System« nicht in das Wesen der Neuzeit<br />
eindringt. Es geniigt nicht, das »System« nur als Eigentiimlichkeit<br />
der Neuzeit zu fassen, das kann richtig und die Neuzeit<br />
dennoch vordergriindlich gefaBt sein.<br />
Nietzsches Worte iiber »das System« sind denn auch gem als<br />
fadenscheinige Rechtfertigungen der Unkraft zu einem weithinaus<br />
und auf dunkle Gange gefaBten Denken miBbraucht<br />
worden. Oder zum mindesten hat man das »System« als Rahmengebilde<br />
abgelehnt zugunsten einer »Systematik«, die doch<br />
nur die erborgte Form des »wissenschaftlichen« Denkens fiir<br />
das philosophische darstellt.<br />
Wenn die »Entscheidung« gegen das »System« zu stehen<br />
kommt, dann ist das der Ubergang aus der Neuzeit in den anderen<br />
Anfang. Sofem das »System« die wesentliche Kennzeichnung<br />
der neuzeitlichen Seiendheit des Seienden enthalt (die<br />
Vorgestelltheit), die »Entscheidung« aber das Sein fiir das Seiende,<br />
nicht nur die Seiendheit aus dem Seienden her meint,<br />
dann ist in gewisser Weise die Ent-scheidung »systematischer«<br />
als jedes System, d. h. eine urspriingliche Bestimmung des<br />
Seienden als solchen aus dem Wesen des Seyns. Dann ist nicht<br />
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