Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis) - gesamtausgabe
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II. Der Anklang<br />
volkische Indienstnahme solches iiberfliissig macht, sodann<br />
aber, weil der Wissenschaftsbetrieb selbst ohne das »Universitare«,<br />
d. h. hier einfach ohne den Willen <strong>zur</strong> Besinnung,<br />
weit sicherer und bequemer in Gang zu halten ist.<br />
Die <strong>Philosophie</strong>, hier nur verstanden als denkende Besinnung<br />
auf die Wahrheit und d. h. Fragwiirdigkeit des Seyns,<br />
nicht als historische und »Systeme« anfertigende Gelehrsamkeit,<br />
hat an der »Universitat« und vollends in der Betriebsanstalt,<br />
die sie werden wird, keinen Ort. Denn sie<br />
»hat« iiberhaupt nirgendwo einen solchen, es sei denn<br />
jenen, den sie selbst griindet, zu dem aber kein Weg von<br />
irgend einer festen Einrichtung aus unmittelbar hinzufiihren<br />
vermag.<br />
g1. Die vorstehende Kennzeichnung der »Wissenschaft« entspringt<br />
nicht einer Gegnerschaft gegen sie, weil eine solche<br />
iiberhaupt nicht moglich ist. Die»Wissenschaft« hat in sich<br />
bei all ihrer heutigen riesenhaften Ausdehnung und Erfolgssicherheit<br />
und Behabigkeit gar nicht die Voraussetzungen<br />
eines wesentlichen Ranges, aufgrund dessen sie je in<br />
einen Gegensatz zum Wissen des Denkens geriickt werden<br />
konnte. Die <strong>Philosophie</strong> ist weder gegen noch fUr die Wissenschaft,<br />
sondern iiberlaBt sie ihrer eigenen Sucht nach<br />
ihrem eigenen Nutzen, immer brauchbarere Ergebnisse<br />
immer handlicher und schneller sicherzustellen und so das<br />
Brauchen: und Bediirfen immer unlosbarer in die Abhangigkeit<br />
von den jeweiligen Ergebnissen und ihrer Ubertreffung<br />
einzuhenken.<br />
gg. Kommt es, wie es kommen muB, <strong>zur</strong> Anerkennung des vorbestimmten<br />
Wesens der neuzeitlichen Wissenschaft, ihres<br />
reinen und notwendig dienstbaren Betriebscharakters und<br />
der hierzu benotigten Einrichtungen, dann muB im Gesichtskreis<br />
dieser Anerkennung kiinftig ein riesiger Fortschritt<br />
der Wissenschaften zu erwarten, ja sogar zu errechnen<br />
sein. Diese Fortschritte werden die Ausbeutung und<br />
Nutzung der Erde, die Ziichtung und Abrichtung des Men<br />
76. Siitze ilber »die Wissenschaft« 157<br />
schen in heute noch unvorstellbare Zustande bringen, deren<br />
Eintritt durch keine romantische Erinnerung an Friiheres<br />
und Anderes verhindert oder auch nur aufgehalten werden<br />
kann. Aber diese Fortschritte werden auch immer seltener<br />
noch als ein Uberraschendes und Auffalliges, etwa als Kulturleistungen,<br />
verzeichnet werden, sondern reihenweise und<br />
gleichsam als Geschaftsgeheimnisse erfolgen und verbraucht<br />
und in ihren Ergebnissen vertrieben werden. Erst wenn die<br />
Wissenschaft diese betriebsmaBige Unauffalligkeit des Abrollens<br />
erreicht hat, ist sie dort, wo sie selbst hintreibt: sie<br />
lost sich dann in die Auflosung alles Seienden selbst mit<br />
auf. 1m Ausblick auf dieses Ende, das ein sehr dauerhafter<br />
Endzustand sein wird, der immer wie ein Anfang aussieht,<br />
steht die Wissenschaft heute in ihrem besten Beginn. Nur<br />
Blinde und Narren werden heute yom »Ende« der Wissenschaft<br />
reden.<br />
g3. Die »Wissenschaft« betreibt so die Sicherstellung des Zustandes<br />
einer volligen Bediirfnislosigkeit im Wissen und<br />
bleibt deshalb im Zeitalter der volligen Fraglosigkeit stets<br />
das »Modernste«. AIle Zwecke und Nutzen stehen fest, aIle<br />
Mittel sind <strong>zur</strong> Hand, jede NutznieBung ist ausfiihrbar, es<br />
gilt nur noch, Gradunterschiede der Verfeinerung zu iiberwinden<br />
und den Ergebnissen die groBtmogliche Breite der<br />
leichtesten Nutzung zu verschaffen. Das verborgene Ziel,<br />
dem all dieses und anderes zueilt, ohne das Geringste davon<br />
zu ahnen und ahnen zu konnen, ist der Zustand der volligen<br />
Langeweile (vgl. Vorlesung 1999/30*) im Umkreis der<br />
eigensten Errungenschaften, die eines Tages selbst den Charakter<br />
der Langweiligkeit nicht mehr verbergen konnen,<br />
falls dann noch ein Rest von Wissenskraft geblieben ist, urn<br />
mindestens in diesem Zustand zu erschrecken und ihn selbst<br />
und die darin gahnende Seinsverlassenheit des Seienden zu<br />
enthiillen.<br />
* Wintersemester 1929/30 »Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt <br />
Endlichkeit - Einsamkeit« (Gesamtausgabe Band 29/30)<br />
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