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Roseln mitten in Siebenbürgen

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1944 bis 1990<br />

haben, warme Kleidung, Schuhzeug, Unterwäsche, Essen für 14 Tage und e<strong>in</strong>e Decke. Das<br />

Gepäck dürfen Angehörige auf e<strong>in</strong>en Wagen geladen zum Ausgang des Dorfes führen.“<br />

Anna Albrich er<strong>in</strong>nert sich:<br />

„Wir wollten auf die Gasse gehen, um uns mit Nachbarn zu besprechen, doch überall<br />

wachten mit Stecken und Gabeln bewaffnete Zigeuner, dass niemand entkomme, dass<br />

sich ke<strong>in</strong>e Rotten bildeten. Wir kleideten uns an und aßen, soweit Essen <strong>in</strong> der Erregung<br />

noch möglich war. Wir richteten unser Gepäck her und g<strong>in</strong>gen gegen 9 Uhr <strong>in</strong> den Saal.<br />

Dort wurden alle <strong>in</strong> Listen abgehakt. Es wird schon gegen 10 Uhr gewesen se<strong>in</strong>, als der<br />

Abmarsch befohlen wurde.“<br />

Die wie beschrieben bewaffneten Zigeuner hatten sich beim Saal versammelt. 4 Ihre Aufgabe<br />

war es, den Abmarsch zu überwachen und Flucht zu verh<strong>in</strong>dern. Durch Geschrei<br />

machten sie Druck, alle Befehle zu befolgen. Mitten <strong>in</strong> der Straße mussten die nun Gefangenen<br />

gehen, während sie, rechts und l<strong>in</strong>ks <strong>in</strong> langer Reihe als Bewacher, sich endlich<br />

e<strong>in</strong>mal als Beschützer von Recht und Ordnung fühlen durften. Ihr Geschrei gipfelte<br />

immer wieder <strong>in</strong> dem Wort „Hitleristen“.<br />

„Außerhalb der Geme<strong>in</strong>de durften wir auf die Wagen unserer Angehörigen zusteigen. Nun<br />

g<strong>in</strong>g es <strong>in</strong> die Turnhalle nach Agnetheln, wo wir den Russen übergeben wurden. Noch<br />

e<strong>in</strong>mal wurde aller Namen verlesen. Bis Montagabend blieben wir <strong>in</strong> der Turnhalle. Im<br />

Dunkeln wurden wir auf den Marktplatz zur Schmalspurbahn geführt und dort <strong>in</strong> Viehwaggons<br />

gepfercht. Schon waren alle weg und noch stand ich mit me<strong>in</strong>em Strohsack, <strong>in</strong><br />

dem die Kleider und alle Lebensmittel e<strong>in</strong>gepackt waren, der daher an die 100 Kg wog,<br />

und wusste nicht weiter. Da kam e<strong>in</strong> rumänischer Offizier auf mich zu und fragte, nach<br />

me<strong>in</strong>em Problem. Er schickte rasch zwei Soldaten, die mir das Gepäck zum Zug trugen.<br />

Der Zug fuhr schon an, da kam e<strong>in</strong>e Rosler Mutter, um ihrer Tochter noch e<strong>in</strong>iges zu br<strong>in</strong>gen.<br />

Als sie wahrnahm, dass sie verspätet hatte, schrie sie durchdr<strong>in</strong>gend: „Meng Duechter,<br />

meng Duechter.“ Alle hörten sie schreien. Da flossen aller Tränen.<br />

Pfarrer Adolf Lutsch, der auch zu den Ausgehobenen gehörte, war durch ärztliches Zeugnis<br />

vor der Deportation bewahrt worden.<br />

Morgens kamen wir <strong>in</strong> Schäßburg an, wurden <strong>in</strong> andere Viehwaggons umgeladen, wobei<br />

Geme<strong>in</strong>den gemischt wurden. In unseren Waggon kamen Malmkroger. Kriegsbed<strong>in</strong>gt<br />

brauchten wir etwa zwei Tage bis zur sowjetischen Grenze. Die Zugführer hielten unterwegs<br />

an e<strong>in</strong>igen ihnen bekannten Feldbrunnen an, damit wir uns mit Wasser versorgen<br />

konnten. E<strong>in</strong>ige Male wurde auch auf freiem Feld gehalten, damit alle – Männle<strong>in</strong> und<br />

Weible<strong>in</strong> – <strong>in</strong> aller Eile ihre Not verrichten konnten. Muss betont werden, dass unsere<br />

Waggons, von außen verschlossen, nur von außen geöffnet werden konnten? An der Grenze<br />

mussten wir <strong>in</strong> russische Waggons umsteigen und kamen nun je 90 Frauen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en<br />

Waggon. Vorn und h<strong>in</strong>ten je e<strong>in</strong>e Bank, auf der wir zusammengepfercht sitzen konnten.<br />

E<strong>in</strong>e gute an Zivilisation und Hygiene er<strong>in</strong>nernde E<strong>in</strong>richtung hatten die russischen Waggon:<br />

neben der Türe war e<strong>in</strong> Loch <strong>in</strong> den Boden gesägt worden, so konnten wir dort mit<br />

Hilfe e<strong>in</strong>er Decke e<strong>in</strong>en Abort e<strong>in</strong>richten. In den vorhergehenden, m<strong>in</strong>destens zwei bis<br />

zweie<strong>in</strong>halb Tagen hatten wir zwischen den vorher beschriebenen Notdurfthalten oft leere<br />

4 Anna Albrichs Bericht macht deutlich, dass bei der Deportation Zigeuner sozusagen als Ordnungshüter<br />

e<strong>in</strong>gesetzt wurden. Auch <strong>in</strong> der folgenden, „revolutionären“ Zeit der Enteignungen<br />

haben Zigeuner <strong>in</strong> <strong>Roseln</strong> e<strong>in</strong>e Vorreiterrolle gespielt, wenn auch unter Beteiligung e<strong>in</strong>er<br />

nicht kle<strong>in</strong>en Gruppe Rumänen. (Der Ausdruck „Zigeuner“ ist <strong>in</strong> Rumänien nicht verpönt,<br />

sondern die Selbstbezeichnung der Roma.)<br />

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