Roseln mitten in Siebenbürgen

1944 bis 1990
4.6 unter gottes gnade
im Schatten des Sicherheitsdienstes
4.6.1 Der 32. Rosler Pfarrer
Am 8. August 1964 heirateten christian weiss und Gertrud, verw. Essigmann, geb.
Fabritius, in der Schwarzen Kirche in Kronstadt. Keinen Monat später übersiedelten wir
zu dritt, mit der elfjährigen Hannelore Essigmann, nach Roseln, in ein großes Pfarrhaus,
in dem damals noch Berchta Scheiner im ehemaligen Amtszimmer wohnte, die aber
bald darauf die Ausreisegenehmigung erhielt. Eine meiner Devisen war:
„Sieh nicht, was andere tun, / der andern sind so viel, / du kommst nur in ein Spiel, / das
nimmermehr wird ruhn. / Geh einfach Gottes Pfad, / lass nichts sonst Führer sein, / so
gehst du still und grad, / und gingst du ganz allein.“ 82
Es wird im Sommer 1965 gewesen sein, als eines sonntags, ich war allein daheim, drei
oder vier Männer zu Besuch kamen. Der Wortführer war ein ehemaliger Nachbar, ein
Securitate 83­Offizier. In Agnetheln wohnte er in dem neben dem Pfarrhaus gelegenen
ehemaligen Predigerhaus. Seine Frau war eine Bukovinadeutsche. Sie hatten zwei Söhne.
Einmal sah ich ihm zufällig zu, wie er nach Weihnachten – es mag der zweite oder
dritte Weihnachtstag gewesen sein – mit dem geschmückten Weihnachtsbaum zur Hintertüre
ihres Hauses herausstürzte, in den Schweinestall lief und den Baum dort verbarg.
Er war gewiss gewarnt worden vor einer Kontrolle, die inspizieren sollte, wie linientreu
die Offiziere der Securitate seien.
Als wir nun 1965 im Zimmer waren und sie Platz genommen hatten, bat er um einen
Trunk. Ich flitzte in die Kammer, ergriff eine Schnapsflasche, schnappte vier Stamperl
und eilte zurück ins Zimmer. Nach einem kurzen, unwesentlichen Gespräch verabschiedeten
sie sich. Das Ansinnen, sie wollten von Zeit zu Zeit wiederkehren, Fleisch
für Rostbraten mitbringen und wir sollten dann zusammen im Garten feiern, lehnte ich
eindeutig ab.
Sie gingen – und ich suchte im ganzen Zimmer vergeblich nach einer Wanze. Von
einem Kollegen, der im Jahr 1959 kurz nach seiner Hochzeit verhaftet worden war und
im Schnellverfahren viele Jahre aufgebrummt bekommen hatte, wurde erzählt, in der
Zeit seiner Hochzeitsreise habe der Sicherheitsdienst in seinem Schlafzimmer über den
Ehebetten eine Wanze montiert.
In meinem Fall war der Sinn des Besuchs vielleicht ein ganz anderer: Als Leute des
Sicherheitsdienstes bekannt, kamen sie zu einer Zeit, in der viele Rosler auf dem Platz
waren, und gingen für alle sichtbar auf den Pfarrhof, um damit Verbindungen zu demonstrieren,
mit dem Ziel, das Vertrauen der Gemeinde in ihren Pfarrer zu untergraben.
Vielleicht ist es bei einigen gelungen? Aufs Ganze gesehen nicht.
Hier sei die Erfahrung von Thomas Rochus (Tamm) bezüglich Securitate eingefügt.
Da sein Vater bei der Bahn arbeitete, erfuhr er, dass Weichenwärter gesucht wurden.
So kam er zur Bahn. In Agnetheln fand er im Stationsvorsteher einen Protektor,
82 Christian Morgenstern: „Sieh nicht, was andre tun“ (Gedicht).
83 Staatssicherheitsorganisation im kommunistischen Rumänien.
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