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Roseln mitten in Siebenbürgen

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Unsere Er<strong>in</strong>nerungen und Gedanken<br />

Frühjahr mit der Geme<strong>in</strong>deherde bis zum Spätherbst <strong>in</strong> die Berge und brachten e<strong>in</strong><br />

errechnetes Quantum an Käse, aber auch Wolle e<strong>in</strong>. Wir lernten das „E<strong>in</strong>machen“ von<br />

Gurken, Sauerkraut, Sakuska (e<strong>in</strong>gekochtes Gemüse), Marmeladen usw., die E<strong>in</strong>kellerung<br />

von Kartoffel­ und Wurzelgemüse, von Birnen und Äpfeln aus dem großen Obst­<br />

und Gemüsegarten, das Wurstmachen und Räuchern. F<strong>in</strong>anziell erleichtert wurde<br />

unser Leben, als die Pfarrfrau kurzzeitig e<strong>in</strong>e Lehrer<strong>in</strong>nenstelle versah und der Pfarrer,<br />

dann und wann <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em früher erlernten Beruf als Kachelofensetzer tätig se<strong>in</strong> konnte.<br />

Erschwert wurde unser Leben durch Magengeschwüre des Pfarrers, wahrsche<strong>in</strong>lich als<br />

Folge der ständigen Spannung und Angst im H<strong>in</strong>blick auf die politischen Repressalien.<br />

Die Schmerzen beh<strong>in</strong>derten alle körperliche Arbeit, wie Holz spalten u. a. m. E<strong>in</strong>e Quelle<br />

der Freude und Verspieltheit war h<strong>in</strong>gegen e<strong>in</strong> lebendiges Geschenk aus Agnetheln,<br />

e<strong>in</strong> junger, fuchsbrauner Jagdhund, e<strong>in</strong>e Bracke, der später gerne von den Rosler Jägern<br />

zur Wildschwe<strong>in</strong>hatz ausgeliehen wurde. Schnupsi, so hieß er, brachte auf diese Weise<br />

manch e<strong>in</strong> Stück Wildschwe<strong>in</strong>fleisch, als „Leihgebühr“ der Jäger, auf den Mittagstisch.<br />

Als e<strong>in</strong>es Abends im Oktober 1963 e<strong>in</strong> Securitateoffizier im Pfarrhaus E<strong>in</strong>lass verlangte,<br />

wurde unsere Angst noch verdichtet. Aber er ließ durchblicken, dass <strong>in</strong> Bukarest<br />

e<strong>in</strong>e Entscheidung über e<strong>in</strong>e Ausreise nach Deutschland anstehe. Viel später erfuhren<br />

wir, dass me<strong>in</strong> Vater schon <strong>in</strong> den fünfziger Jahren e<strong>in</strong>en Sammelantrag der Familie<br />

zur Ausreise gestellt hatte, dass unsere schöne Wohnung <strong>in</strong> Kronstadt von e<strong>in</strong>em Politfunktionär<br />

als se<strong>in</strong> Quartier <strong>in</strong>s Visier genommen worden war und dass unliebsamen<br />

Staatsbürgern deutscher Sprache, zum Beispiel Pfarrern, gezielt die Ausreise <strong>in</strong> den<br />

Westen eröffnet wurde. Viele, viele Gespräche und Diskussionen g<strong>in</strong>gen h<strong>in</strong> und her: <strong>in</strong><br />

der jungen Pfarrerehe, im Presbyterium, im Freundes­ und Kollegenkreis, mit der Kirchenleitung.<br />

Wir zögerten e<strong>in</strong>e Entscheidung h<strong>in</strong>aus, aus Gewissensgründen, aber auch<br />

weil die „Fra Motter“ und unser Sohn, wie mir von der Securitate nicht ohne Zynismus<br />

mitgeteilt wurde, nicht zur Ausreise vorgesehen waren, aber e<strong>in</strong>e gute Chance erhalten<br />

würden, wenn ich im Ausland die Verhältnisse <strong>in</strong> Rumänien positiv beschreiben würde.<br />

Familien<strong>in</strong>tern wurde beschlossen, me<strong>in</strong>e Ausreise zu bewerkstelligen und e<strong>in</strong>e Trennung<br />

von Frau und K<strong>in</strong>d von maximal e<strong>in</strong>em Jahr <strong>in</strong> Kauf zu nehmen. Danach sollte<br />

gegebenenfalls me<strong>in</strong>e Rückkehr erfolgen. Diese Überlegung stand allerd<strong>in</strong>gs unter dem<br />

Vorbehalt, wie das Presbyterium <strong>in</strong> <strong>Roseln</strong> die Situation bewerten würde. Heute noch<br />

er<strong>in</strong>nere ich mich an die fast unerträgliche Spannung, mit der ich <strong>in</strong> die Besprechung<br />

mit den Presbytern g<strong>in</strong>g, <strong>in</strong> der über „Bleiben oder Gehen“ entschieden werden sollte.<br />

Das Fazit bestand <strong>in</strong> dem Satz: „Gehen Sie und sorgen Sie dafür, dass wir nachkommen.“<br />

Es folgte, nachdem die Ausreisepapiere <strong>in</strong> der Tat vorlagen, e<strong>in</strong> Abschiedsgottesdienst<br />

unter Tränen, die Auflösung des Haushalts, der Umzug von Frau und K<strong>in</strong>d <strong>in</strong>s<br />

elterliche Haus nach Hermannstadt und die formale Übergabe des Pfarramtes an den<br />

Dechanten. Im März 1964 traf ich <strong>in</strong> Deutschland e<strong>in</strong>. Mehr als e<strong>in</strong> Jahr später folgten<br />

Frau und K<strong>in</strong>d nach.<br />

Denke ich nach all den Jahren zurück an <strong>Roseln</strong>, muss ich bekennen, dass die mannigfachen<br />

kirchlichen Dienste seither – als Pfarrer <strong>in</strong> Südafrika, <strong>in</strong> Stuttgart, <strong>in</strong> der Militärseelsorge,<br />

im Diakonischen Werk Württemberg und im Schwarzwald – nie wieder<br />

jene Wärme und Intensität an Zuwendung erlangten, wie ich sie <strong>in</strong> <strong>Roseln</strong> empfangen<br />

und geben konnte.

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