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Roseln mitten in Siebenbürgen

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Unsere Er<strong>in</strong>nerungen und Gedanken<br />

es gibt brot<br />

Von Gudrun Wagner geb. Mild 1<br />

Der Trommler lief die staubige Dorfstraße entlang und verkündete zwischen zwei<br />

Trommelschlägen: „Das Brot ist da.“ Es klang wie e<strong>in</strong> Befehl. Aus den Torbögen der<br />

Häuserzeile kamen nach und nach K<strong>in</strong>der und hauptsächlich alte Menschen. Die jüngeren<br />

waren um diese späte Nachmittagsstunde noch bei der Feldarbeit. Alle hatten das<br />

gleiche Ziel: den Keller im alten Schulgebäude. Dort wurden die Ladungen Schwarzbrot<br />

deponiert. E<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> zwei Wochen wurde verkauft. Ke<strong>in</strong>er wusste genau, wann. Das<br />

h<strong>in</strong>g von vielem ab: ob die Staatsbäckerei Mehl und Hefe hatte, ob der klapprige Lkw<br />

auch fahrtüchtig war und die vielen Schlaglöcher bewältigen konnte, ob der Strom nicht<br />

für zu lange Zeit abgeschaltet wurde, ob nicht gerade (wie so oft) Spritmangel herrschte,<br />

ob Verkäufer Hermann nicht zur Beschaffung anderer Waren unterwegs war ... Wenn<br />

all dieses und noch manch anderes Unvorhergesehenes nicht zutraf, erfuhren wir vom<br />

Trommler, dass es Brot gibt.<br />

Otto und ich standen geduldig an. Ich hatte das Geld, er die Bezugssche<strong>in</strong>e und den<br />

braunen Beutel. Dieser hatte eigentlich schon lange ausgedient. Die Nieten der Schnürlöcher<br />

waren nicht mehr da, so dass der Stoff ausfranste. Die Schnüre selbst waren oft<br />

ersetzt worden. Durch Kordeln aus starkem B<strong>in</strong>dfaden. Die „schnitten“ richtig <strong>in</strong> unsere<br />

Handflächen. Darum hatte Ota 2 e<strong>in</strong> Lederband durch die Löcher gezogen. Das Gerbmittel<br />

h<strong>in</strong>terließ gelbbraune Flecken an unseren schweißfeuchten Händen. Und doch,<br />

unser Brot wurde nur <strong>in</strong> diesem Beutel heimgetragen. Im Brotbeutel. Alle zwei Wochen<br />

vier Brote. Für vier Personen vier Brote, je zwei Kilo schwer. Brote, rund und schwarz.<br />

Manchmal frisch. Meistens schon e<strong>in</strong> paar Tage alt.<br />

Der alte, e<strong>in</strong>stmals dunkelgrau lackierte Brot­Lkw russischer Herstellung hatte viele<br />

Dörfer im Umkreis der Stadt anzufahren und zu beliefern. Auf se<strong>in</strong>er Ladefläche lag e<strong>in</strong>e<br />

grüne Zeltplane. Darauf wurden die Brote gelegt. Mit e<strong>in</strong>er anderen Plane wurden sie<br />

zugedeckt. Der Geschmack von Staub und Erde blieb unauslöschlich haften.<br />

Beim Entladen wollten viele helfen. Sie stellten sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er langen Reihe vom Lkw<br />

bis zum Kellerfenster auf. Dann wurden je zwei Brote mit der Unterseite gegene<strong>in</strong>ander<br />

von e<strong>in</strong>em zum anderen weitergereicht. Das Brot g<strong>in</strong>g durch viele Hände, bis Hermann<br />

es <strong>in</strong> den langen Wandregalen im Keller stapelte. Für die Menschen, die anstanden,<br />

war es e<strong>in</strong> Spaß, den Helfern zuzusehen. Sie nahmen die Brote mit e<strong>in</strong>er L<strong>in</strong>ksdrehung<br />

entgegen, gaben sie mit e<strong>in</strong>er Rechtsdrehung ab. Meist mit viel Schwung, so dass es<br />

vorkam, dass manch e<strong>in</strong> Laib auf die Erde kullerte. (Er wurde trotzdem verkauft.) Ihn<br />

wieder aufzuheben und weiterzugeben brachte alles <strong>in</strong>s Stocken und belustigte vor allem<br />

die K<strong>in</strong>der. Die Helfer mussten nicht anstehen. Sie durften als erste kaufen. Irgendwann<br />

waren auch Otto und ich dran. Hermann nahm die Bezugssche<strong>in</strong>e und das Geld entgegen:<br />

Vier Brote landeten <strong>in</strong> unserem Beutel. Otto fasste die e<strong>in</strong>e Schlaufe der Schnur,<br />

ich die andere. Wir waren enttäuscht. Das Brot war nicht frisch. Ke<strong>in</strong> warmer, wohliger<br />

1 Familie Mild lebte ungefähr von 1959 bis 1964 <strong>in</strong> <strong>Roseln</strong>. Der Beitrag wurde geschrieben für<br />

das Agnethler Blatt Nr. 28 von 1997.<br />

2 Opa, Großvater.

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