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Roseln mitten in Siebenbürgen

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Unsere Er<strong>in</strong>nerungen und Gedanken<br />

er<strong>in</strong>nerungen an die nachkriegsjahre <strong>in</strong> roseln<br />

Von Georg Stirner<br />

Die Rosler sche<strong>in</strong>en auch e<strong>in</strong> Menschenschlag zu se<strong>in</strong>, der sich am liebsten an die<br />

schönen Zeiten se<strong>in</strong>er Geschichte er<strong>in</strong>nert. Dieses macht es uns schwer, die Heimat<br />

zu vergessen – was wir ja eigentlich auch gar nicht wollen. Wir s<strong>in</strong>d es jedoch unseren<br />

Nachkommen schuldig, auch über Schattenseiten unserer Geschichte zu schreiben,<br />

damit sie e<strong>in</strong> realistisches Bild unserer Vergangenheit bekommen. Wichtig ist es, Menschen,<br />

die mit Supermarkt und Selbstbedienung groß werden, mitzuteilen, wie es ist,<br />

wenn man so richtig Hunger hat und diesen nicht stillen kann, weil es e<strong>in</strong>fach nichts<br />

gibt.<br />

Der Zweite Weltkrieg mit se<strong>in</strong>en Folgen gehört ohne Zweifel zu den dunkelsten Kapiteln<br />

der Geschichte der Rosler Sachsen. Es kamen Meldungen über Tote und Vermisste,<br />

auch andere über die Verschleppung nach Russland, Erschießung des Pfarrers, die Enteignungen.<br />

Jeder neue Tag war e<strong>in</strong>e neue Prüfung. Besonders denke ich an die Witwen<br />

und alle<strong>in</strong> gebliebenen Frauen, die zum Teil zwei oder mehr schulpflichtige K<strong>in</strong>der<br />

hatten, die dazu auswärts die Schule besuchen mussten. Diese Frauen verdienten me<strong>in</strong>es<br />

Erachtens alle das Bundesverdienstkreuz für die Aufopferung für e<strong>in</strong>e gute Sache! Wenn<br />

e<strong>in</strong>e Pfarrer<strong>in</strong> (so Frau Lutsch) Korbtaschen flechten muss, um ihren K<strong>in</strong>dern das Studium<br />

zu ermöglichen, brauche ich die anderen Fälle nicht mehr zu erwähnen.<br />

Es war die Zeit gekommen, als e<strong>in</strong>ige der Heimkehrer sich wieder auf die Straße<br />

wagten, andere blieben noch <strong>in</strong> ihrem Versteck. Die Männer trafen sich, standen im<br />

Kreis beisammen und erzählten sich, was jeder erlebt hatte. Wir K<strong>in</strong>der hörten auch zu,<br />

wurden jedoch öfter weggeschickt.<br />

In e<strong>in</strong>em solchen Kreis erzählte e<strong>in</strong> Heimkehrer über se<strong>in</strong>e erfrorenen Zehen und wie<br />

er und se<strong>in</strong> Nachbarkamerad im Krieg während e<strong>in</strong>es Marsches abwechselnd geschlafen<br />

hatten. Dies konnte ich nicht glauben und erzählte me<strong>in</strong>er Mutter zu Hause von dieser<br />

angeblichen Lüge. Doch Ähnliches sollte ich später selbst erfahren.<br />

Die Enteignung und Räuberei war <strong>in</strong> vollem Gange. Wer beim rumänischen Militär<br />

gedient hatte, durfte se<strong>in</strong> Vieh behalten und bekam auch noch fünf Joch Acker vom<br />

Staat dazu. Zu diesen sollte auch me<strong>in</strong> Vater gehören – doch war er e<strong>in</strong> Ausnahmefall,<br />

weil er bei der NS 4 Mitläufer gewesen war. Auf Rumänisch: „Ai fost Hitlerist“ – Du<br />

warst Nazi! Und das sollte er teuer bezahlen.<br />

Er wurde wie alle anderen enteignet – und es kam noch schlimmer! Nach der Enteignung<br />

des Viehbestandes hörte man, dass nun die Getreidespeicher (Fruchtkästen)<br />

drankämen. Diese wollten wir schützen. Und so gruben wir nachts – beim Sche<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Petroleumlampe – im Haus me<strong>in</strong>er Tante „Im W<strong>in</strong>kel“ e<strong>in</strong> Loch <strong>in</strong> den Boden des Kellers<br />

und versenkten e<strong>in</strong> leeres We<strong>in</strong>fass. Dieses füllten wir mit me<strong>in</strong>em Großvater 5 mit<br />

Korn und deckten das Fass wieder mit Erde zu, so dass man nichts erkennen konnte.<br />

4 In der nationalsozialistischen Bewegung.<br />

5 In <strong>Siebenbürgen</strong> üblicher Satzbau: „wir mit me<strong>in</strong>em Großvater“ bedeutet eigentlich „wir<br />

beide: me<strong>in</strong> Großvater und ich“.

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