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Roseln mitten in Siebenbürgen

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1944 bis 1990<br />

Bald nach unserer Ankunft wurden wir zur Arbeit zugeteilt, die meisten <strong>in</strong> den Schacht.<br />

E<strong>in</strong> Jahr lang musste ich Kohle aufladen. Auch me<strong>in</strong> Bruder Thomas kam <strong>in</strong> den Schacht.<br />

E<strong>in</strong>es Tages im April wurde er zwischen zwei Waggonettel e<strong>in</strong>geklemmt, zerbrach sich den<br />

Arm und verletzte se<strong>in</strong> Knie. Er kam <strong>in</strong>s Spital, wurde <strong>in</strong> Gips gelegt und entlassen. Solange<br />

er im Gips war, durfte er im Lager bleiben und erholte sich dort gut. E<strong>in</strong>e russische<br />

Köch<strong>in</strong> gab ihm öfter Milch, die sie von daheim mitbrachte. Mit Buchholzer Heddi aus<br />

Magarei und e<strong>in</strong>em gewissen Roth aus Waldhütten schmiedeten sie den Plan durchzugehen<br />

und setzten ihn e<strong>in</strong>es Tages <strong>in</strong> die Tat um. Als ihr Verschw<strong>in</strong>den bemerkt wurde,<br />

verkündete uns der russische Lagerkommandant sofort: „Sie werden bald gefangen werden<br />

und dann hier vor euer aller Augen erschossen.“ Es dauerte verhältnismäßig lange, bis<br />

sie ergriffen wurden, doch e<strong>in</strong>es abends brachte man sie und mit ihnen drei Ungarn, die<br />

ebenfalls geflohen waren. Zuerst wurden sie für e<strong>in</strong>e Woche e<strong>in</strong>gesperrt und dann <strong>in</strong> den<br />

entferntesten Schacht gesteckt, zu dem sie sechs Kilometer Fußweg täglich h<strong>in</strong> und sechs<br />

zurück zusätzlich zu bewältigen hatten. Thomas erkrankte an Gelbsucht, kam <strong>in</strong>s Lazarett.<br />

Als im Herbst 1945 e<strong>in</strong>e Kommission im Lager untersuchte, wer aus Gesundheitsgründen<br />

heimzuschicken sei, erkannte ihn die Ärzt<strong>in</strong> und setzte ihn auf die Liste. Der Lagerkommandant<br />

widersprach sofort, weil er unter Strafe stehe. Als dann e<strong>in</strong>es Tages e<strong>in</strong> Auto<br />

vorfuhr, um die Ausgewählten <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Sammellager zu br<strong>in</strong>gen, kam me<strong>in</strong> Bruder nicht<br />

h<strong>in</strong>zu, obwohl er vorgelesen wurde. Ich suchte ihn und fand ihn auf se<strong>in</strong>em Bett sitzen,<br />

gewiss, dass der Lagerkommandant ihn zurückhalten würde. Auf me<strong>in</strong> Zureden g<strong>in</strong>g er<br />

zum Lastwagen, durfte aufsteigen und kehrte am 25. November 1945 nach <strong>Roseln</strong> heim.<br />

So sehr ich ihm die Heimkehr wünschte, war der Abschied doch hart. Was half es, dass die<br />

Russen uns ständig trösteten: Skoro damoi – bald seid ihr daheim, bald geht auch ihr heim.<br />

E<strong>in</strong>ige g<strong>in</strong>gen ‚heim‘. E<strong>in</strong> Waldhüttener wurde im Schacht von e<strong>in</strong>em Ste<strong>in</strong> erschlagen.<br />

Die Tischler machten ihm e<strong>in</strong>en Sarg und Pfarrer Mart<strong>in</strong>i hielt die Andacht, sprach Gebet<br />

und Segen. Alle so heimgehenden Deportierten unseres Lagers wurden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Sarg beerdigt,<br />

im Gegensatz zu den Russen, die im Anfang auf e<strong>in</strong>em Wagen und mit e<strong>in</strong>em Arm<br />

voll Stroh für ihr Ruhebett, später per Auto zum Friedhof gefahren wurden. E<strong>in</strong>en Sarg<br />

sahen wir dort nie.<br />

E<strong>in</strong> Lichtblick <strong>in</strong> unserem Lageralltag war im Sommer 1945 e<strong>in</strong> Besuch <strong>in</strong> dem etwa zwei<br />

Kilometer entfernten Kriegsgefangenenlager, aus dem wir im W<strong>in</strong>ter die Kohle zum Heizen<br />

des Lagers erhalten hatten. Diese Kriegsgefangenen wurden nicht – wie wir – bewacht,<br />

sondern mussten sich selbst bewachen. Dort erkundigten wir uns nach Siebenbürger<br />

Sachsen und konnten zwölf ausf<strong>in</strong>dig machen, darunter e<strong>in</strong>en Bekannten aus Agnetheln.<br />

Weil die Wohnverhältnisse <strong>in</strong> dem Flachbau doch viel zu eng für annähernd tausend Leute<br />

waren, wurde <strong>in</strong> der Nähe e<strong>in</strong> Wohnhaus geräumt und dar<strong>in</strong> außer der Krankenstation,<br />

Küche und Büro auch e<strong>in</strong>ige Wohnräume e<strong>in</strong>gerichtet. In Erwartung besserer Wohnbed<strong>in</strong>gungen<br />

fanden sich rasch Anwärter dafür. Auch ich siedelte um. Aber das Haus war<br />

nicht von allen Bewohnern verlassen, die Wanzen waren allesamt zurückgeblieben. In e<strong>in</strong>er<br />

Sommernacht nahmen wir uns deshalb mit e<strong>in</strong>er Freund<strong>in</strong> die Decke und legten uns lieber<br />

draußen auf die Grasfläche e<strong>in</strong>es Sowjetsterns im Hof. Dort schnappte uns e<strong>in</strong> kontrollierender<br />

Offizier und sperrte uns zur Strafe <strong>in</strong>s Büro. Ich legte mich auf me<strong>in</strong> bestes Stück,<br />

dass ich mitgenommen hatte, e<strong>in</strong>en W<strong>in</strong>termantel, und habe herrlich geschlafen.<br />

Das Lager Mosp<strong>in</strong>o wurde 1946 aufgelöst und die Bewohner auf andere Lager verteilt.<br />

Zuerst kamen wir nach Is<strong>in</strong>ovka, e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Lager mit e<strong>in</strong>em nahegelegenen, großen<br />

Schacht und großen Komb<strong>in</strong>at. Die Wohnräume waren menschenwürdiger, Stockbetten<br />

nicht mehr nötig, jeder hatte e<strong>in</strong> eisernes oder hölzernes Bett. Jeder hatte unter dem Bett<br />

e<strong>in</strong> Kistchen für se<strong>in</strong>e Habseligkeiten. Nichts wurde abgeschlossen, aber an Probleme mit<br />

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