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wiener beiträge zur musiktherapie band 3 theorie ... - Praesens Verlag

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Zur archetypischen Ebene der Musikwahrnehmung<br />

sogenannten “nationalen Archetypen”. Der Granatapfel etwa ist ein Bildsymbol für<br />

Fruchtbarkeit, ist aber in jenen Kulturen anzutreffen, wo dieses Obst wächst. Die<br />

universale archetypische Erscheinung des “archaischen Chromatismus” taucht in<br />

Form der erweiteten Sekunde zunächst in Griechenland auf und wird dann als<br />

lokale Invariante zum Symbol für Orient.<br />

Das Dasein eines Archetyps wird typischerweise mit dem Auftauchen eines<br />

ambivalenten Gefühls charakterisiert, das von Jung nach R. Otto Numinosität<br />

genannt wurde (Jung 1990). Wir haben über 200 epische, mythische und andere<br />

Volksgeschichten über Musik, Musiker und Musikinstrumente erforscht und daraus<br />

etwa 10 Grundthemen oder typologische Motive ausgesucht. Musik als Vertretung<br />

eines Unsichtbaren Daseins ist eines der wichtigsten Motive. Also kann Musik auch<br />

als direkte oder indirekte Repräsentation einer Gottheit berücksichtigt werden. Das<br />

kann wiederum bedeuten, dass Musik die unmittelbarste Quelle der Numinosität sei.<br />

Während es einem archaischen Volk genügte, z.B. ein Schofarhorn zu blasen, um<br />

einen gewünschten Effekt von Angst (Ehrfurcht), gemischt mit Vergnügen zu<br />

erreichen, so braucht ein moderner Mensch ein viel feineres Umgehen mit<br />

musikalischem Material.<br />

Ab der Barockzeit findet die grundsätzliche Dialektik der Wiederholung und<br />

Veränderung ein originales System, gegründet auf der Dialektik von Paradigmen<br />

und Syntagmen. Paradigmen sind erkennbare symbolische oder semantische<br />

Komplexe, wie z.B. das Leitmotiv in der romantischen Musik oder die heilige<br />

Sequenz Dies Irae. Es ist klar, dass Archetypen die kräftigsten Paradigmen in der<br />

Weltmusik sind. Syntagma ist ein Teil der klingenden Musik, ein Strukturelement.<br />

Die Stellung eines Paradigmas bzw. der Ort, an dem sich ein Syntagma befindet,<br />

können eine entscheidende Rolle für die Wirkung dieser Musik spielen. So glaubt L.<br />

Hakobian, ein Musikwissenschaftler, der paradigmatische und syntagmatische<br />

Gewebe in Musikwerken erforscht, dass eine Sequenz (Wiederholung einer<br />

semantischen Figur auf neuer Tonhöhe) den wichtigsten syntagmatischen Effekt<br />

kriegt (Hakobian 1994). Dieser Logik folgend ergibt sich, dass, wenn wir ein und<br />

dasselbe Paradigma immer höher, schneller und lauter wiederholen, wir den<br />

maximalen Effekt stärkster emotionaler Wirkung bekommen: eine Praktik, die<br />

Komponisten gut bekannt ist. Wir denken, es gibt hier etwas zu ergänzen: Wenn wir<br />

einen Archetyp als paradigmatische Formel gebrauchen, erhalten wir das beste<br />

Ergebnis dann, wenn auf dem höchsten Punkt der Entwicklung wir einen anderen<br />

Archetyp nehmen, denn frisches Material ist noch eine andere syntagmatische<br />

Technik.<br />

Um hier zeigen zu können, wie auch syntagmatische Elemente eine archetypische<br />

Quelle (modellierende Archetypen oder Algorhithmen) haben können, möchten wir<br />

auf eine bekannte Technik aus der Folklore verweisen. In dieser wird eine<br />

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