wiener beiträge zur musiktherapie band 3 theorie ... - Praesens Verlag
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In illo tempore<br />
Einfluß des Positivismus auf die Gedanken - und Sprachwelt des Menschen änderte<br />
sich die Bedeutung des Begriffes. Aus dem, das wahr war (weil es in der Bibel so<br />
stand), wurde etwas, das der Wirklichkeit widersprach.<br />
Heute wird die Bedeutung des Mythos so erkannt und interpretiert, wie er auch<br />
von den primitiven und archaischen Gesellschaften verstanden wird: er bildet die<br />
eigentliche Grundlage des gesellschaftlichen Lebens und seiner Kultur. Für nichtchristliche<br />
Kulturen ist der Mythos d i e wahre Geschichte, sie ist w i r k l i c h,<br />
w i e d e r h o l b a r , dient den Mitgliedern der jeweiligen Gesellschaft als Vorbild,<br />
dient als Modell für menschliche Handlungen. In dem Mythos offenbart sich das<br />
Göttliche, das der Gesellschaft vom Anfang der Zeit berichten will, von dem, das<br />
vorher war, denn das ist w a h r und somit h e i l i g. So wird der Mythos <strong>zur</strong><br />
Offenbarung und will den Menschen von jenen Zeiten erzählen, wo es ihn noch<br />
nicht gab, die heilige Zeit, in illo tempore.<br />
Hier lassen sich zwei wesentliche Qualitäten des Mythos herausfiltern, die dann -<br />
wie später noch erklärt - für die Heilung nutzbar gemacht wurden und werden. Dies<br />
ist:<br />
1. die Zeitachse. Durch das Erzählen im Hier und Jetzt kommen Erzähler und<br />
Zuhörer in Kontakt mit der Vergangenheit, der Zeit des Ursprungs.<br />
2. Kontakt wird hergestellt mit jener Zeit, in der noch alles heil war. Es ist eine<br />
Reise in eine andere Zeit, zu einem heilen Zustand. So ist ein Zurückgewinnen<br />
jener Kraft möglich, die mit der Erschaffung des Seins verbunden war. Durch<br />
das Erzählen des Mythos und durch ein Wiederholen der vorbildlichen Taten<br />
sagenumwobener Gestalten tritt der Zuhörer aus der profanen Zeit heraus in die<br />
Große, Heilige Zeit.<br />
Es ist verständlich, daß die Psychologen und Analytiker des frühen 20.<br />
Jahrhunderts Parallelen fanden zwischen den Gestalten der Mythen und ihrer<br />
Dynamik einerseits und den Ebenen des Unbewußten und seiner Dynamik<br />
andererseits. Weit über den Gedanken der Parallelen hinausgehend erklären einige<br />
Psychologen die Mythen mit dem Unbewußten und seiner Strukturen. Als deren<br />
Hauptvertreter sei hier C.G. Jung genannt. Er schreibt:<br />
„...daß die Mythen aber in erster Linie psychische Manifestationen sind, welche<br />
das Wesen der Seele darstellen, darauf hat man sich bisher so gut wie gar nicht<br />
eingelassen. An einer objektiven Erklärung der offenkundigen Dinge liegt dem<br />
Primitiven zunächst wenig, dagegen hat er ein unabweisbares Bedürfnis oder, besser<br />
gesagt, hat seine unbewußte Seele einen unüberwindlichen Drang, alle äußeren<br />
Sinneserfahrungen an seelisches Geschehen zu assimilieren.(...) Alle mythisierten<br />
Naturvorgänge wie Sommer und Winter, Mondwechsel und Regenzeiten usw. sind<br />
nichts weniger als Allegorien eben dieser objektiven Erfahrungen, als vielmehr<br />
symbolische Ausdrücke für das innere und unbewußte Drama der Seele, welches auf<br />
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