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wiener beiträge zur musiktherapie band 3 theorie ... - Praesens Verlag

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HILDEMARIE STREICH<br />

In einem Brief aus dem Jahre 1950 schreibt C. G. Jung über die Musik folgendes:<br />

„Dass Musik, ebenso wie das Drama, mit dem kollektiven Unbewussten zu tun hat,<br />

steht fest ......... Die Musik drückt in Tönen dasselbe aus wie die Bilder der Phantasien<br />

und Visionen. Ich bin kein Musiker und nicht imstande, Ihnen diese Gedanken<br />

im einzelnen auseinanderzusetzen. Ich kann Sie nur darauf hinweisen, dass Musik<br />

die Bewegung, Entwicklung und Wandlung der Motive im kollektiven Unbewussten<br />

darstellt ........ Die musikalische Form ist Ausdruck des zirkulären Charakters unbewusster<br />

Prozesse, z.B. in den vier Sätzen der Sonate oder in der Vollkommenheit<br />

zirkulärer Anordnung in der ‚Kunst der Fuge‘“ (Jung, 1972, S. 173).<br />

Dieser Brief ist gerichtet an Serge Moreux, den Herausgeber der ‚Revue Musicale‘,<br />

der Jung gebeten hatte, einen Artikel zu schreiben zum Thema ‚Le rôle de la musique<br />

dans l’expression de l’inconscient collectif‘. Jung beginnt seinen Brief mit dem<br />

Bedauern darüber, dass er wegen seines hohen Alters und seiner Krankheit nicht in<br />

der Lage sei, einen Beitrag für die geplante Nummer zu schreiben, und er schliesst<br />

mit den Worten: „Mehr könnte ich Ihnen über dieses Thema nicht sagen. Nur ein<br />

Musiker, der über psychologische Kenntnisse verfügt, wäre imstande, die Psychologie<br />

des Kontapunktes, der kreisförmigen Anordnung zu beschreiben ...“ (Jung,<br />

1972, S. 174).<br />

Für Menschen, die durch Interesse, Ausbildung und Beruf der Psychologie ebenso<br />

verbunden sind wie der Musik, und der Musik ebenso wie der Psychologie, bedeuten<br />

solche Worte nicht nur eine Bestätigung ihres Tuns, sondern zugleich auch<br />

eine Art Vermächtnis und Auftrag. Näheres <strong>zur</strong> Symbolik musikalischer Formen<br />

wie Fuge, Tonleitern, Temperaturen findet sich bei Streich (1973, 1975, 1977, 1978,<br />

1979, Eranos-Jahrbücher).<br />

Zum besseren Verständnis der nachfolgenden Traumbeispiele sei vorausgeschickt<br />

ein kurzer Überblick über einige der wichtigsten Urbilder oder Archetypen musikalischer<br />

Ganzheit.<br />

1. Musik als urbildliche archetypische Ganzheit<br />

In der Musikanschauung der Antike und des Mittelalters wird die Musik gleichgesetzt<br />

mit Harmonía. Im griechischen Mythos gilt Harmonía (Tochter des Kriegsgottes<br />

Ares und der Liebesgöttin Aphrodite) als Göttin der Gegensatzvereinigung und<br />

als persönlich wirkende, zutiefst musikalische Ordnungsmacht in der Welt. Musik<br />

als Harmonía bedeutet jedoch keineswegs einen seichten, farblosen Kompromiss,<br />

sondern im Gegenteil eine höchst dynamische, aus dem lebendigen Wechselspiel<br />

ihrer konträren Pole immer wieder neu in der Zeit sich konstellierende und zugleich<br />

im ewig Zeitlosen wurzelnde urbildliche Ganzheit. Etymologisch bedeutet die Silbe<br />

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