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wiener beiträge zur musiktherapie band 3 theorie ... - Praesens Verlag

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BARBARA GINDL<br />

Augenblicke der Tiefe, der Nähe und der Intimität. Nebensächlich, aber für sie<br />

selbst sehr wichtig, war, dass die Bauchschmerzen fast regelmässig nachher<br />

verschwunden waren.<br />

Wie sich bei einem Säugling erst und nur durch wiederholte Erfahrungen von<br />

ausgewogenem nährenden und haltenden Kontakt mit der Bezugsperson ein Gefühl<br />

für sich selbst und den anderen bildet und sich dies zuallererst körperlich manifestiert,<br />

brauchte meine Patientin diese gleichermassen musikalische und körperliche<br />

Erfahrung emotionaler Resonanz (Summen, Berührung, Blick, das Abstimmen von<br />

Summen/Berührung auf ihren Atemrhythmus), um auf ihren Körper und dessen<br />

„Sprache“ ausserhalb des engen Raumes seiner Symptome aufmerksam zu werden<br />

und überhaupt positiv besetzte Körperwahrnehmung zuzulassen. Anmerken<br />

möchte ich hier, dass ihr eben dieser Kontakt auch half, als sie eineinhalb Jahre<br />

später ihre Menstruation wieder bekam - unter grässlichen Schmerzen.<br />

Das Spiel auf dem Metallophon, das Begleiten ihres Atems mit meinem Summen<br />

und meiner Berührung und mein Klavierspielen für sie, in dem ich mein Empfinden<br />

ihrer oft so sprachlosen und kontaktlosen Not in Musik umsetzte, war über lange<br />

Zeit die einzige Möglichkeit, sie in ihrer Depression, Apathie und Einsamkeit<br />

überhaupt zu erreichen und einen Kontakt anzuknüpfen. Wenn ich sie fragte, wie<br />

meine Musik für sie war, kam oft nur: „Schön“. Ich konnte, während ich spielte,<br />

beobachteten, dass sich ihre Gesichtszüge entspannten, dass ihre Augen mich<br />

wirklich ansahen und ihr Atem tiefer und langsamer wurde.<br />

Viel später liess sie sich dann darauf ein, mit mir gemeinsam ganz freie (d.h.<br />

improvisierte und atonale) Musik zu machen - immer dann, wenn sie wieder nichts<br />

zu sagen wusste und stumm die Tränen flossen. Über diesen Weg und mit meiner<br />

Aufforderung „Lass uns ganz genau hinhorchen, was uns unsere Musik erzählen<br />

mag“, entdeckte sie ihre Gefühle hinter der Leere, vor allem ihre immense Wut, die<br />

sie dann mit verblüffender Lautstärke und mit verlegener Lust heraustrommelte,<br />

während ich sie auf dem Klavier begleitete. Mittlerweile hat sie die Klinik verlassen,<br />

kommt weiterhin ambulant in die Musiktherapie und erzählt mir von<br />

altersadäquaten Themen. Sie beginnt, ihre Wünsche und ihre Bedürfnisse, aber auch<br />

ihr „Nein“ bewusster wahrzunehmen.<br />

Erst wenn Menschen in diesem Sinn resonant werden für das Eigene, Stimmige,<br />

zu ihnen Gehörige - wir nennen das mit Winnicott (1984) "wahres Selbst" - ist es<br />

möglich, sich in sich geortet und auch zugehörig zu einem grösseren Ganzen, zu<br />

dem heilenden Bereich ausserhalb des eigenen Ichs zu erleben. Diesen Anschluss an<br />

eine innere Heimat zu finden mag vielleicht die Hoffnung auf Heilung ausdrücken.<br />

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