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wiener beiträge zur musiktherapie band 3 theorie ... - Praesens Verlag

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ELENA FITZTHUM<br />

Wie der folgende Vergleich zeigen wird, sind der Mythos und die Musik als<br />

„Geschwister“ der Sprache zu betrachten, wobei sich jeder in eine andere Richtung<br />

entwickelt hat. Hierbei hat jeder „Geschwisterteil“ einen neuen Akzent gesetzt: die<br />

Musik hebt das Tonhaft der Sprache hervor, der Mythos betont den Sinn, die<br />

Bedeutung, der in der Sprache enthalten ist. Während sich also die Sprache auf drei<br />

Ebenen bildet, arbeiten Mythos und Musik jeweils auf zwei Ebenen.<br />

Die kleinste Sinneinheit der Musik ist der Ton. Der Ton an sich hat keine<br />

Bedeutung, er ist eine Note, sowie der Buchstabe an sich auch keine Bedeutung<br />

besitzt. Beide, der Ton und der Buchstabe erhalten erst in Verbindung mit anderen<br />

eine Bedeutung. So besteht die Ähnlichkeit von Musik und Sprache darin, daß beide<br />

aus einem gewissen Grundmaterial gebaut sind. Auf der nächsten Ebene existiert<br />

ein Unterschied. Während wir in der Sprache das Grundmaterial miteinander<br />

verbinden, erhalten wir das Wort; die Aneinanderreihung von Tönen in der Musik<br />

läßt gleich den „Satz“, die Melodie entstehen. So ist in der Musik der Weg <strong>zur</strong><br />

nächst höheren Sinneinheit kürzer als in der Sprache, vielleicht ein Grund für die<br />

unmittelbarere Vermittlungsfähigkeit der Musik. „Man kommt unmittelbarer zum<br />

Satz“ (Lèvi-Strauss, S. 64). In der Sprache müssen noch die Wörter zueinander in<br />

Beziehung gesetzt, erst dann bildet sich die Sinneinheit „Satz“. Nun gilt für den<br />

Mythos: das kleinste Element, also sein Grundmaterial ist das Wort, dessen<br />

Verbindungen ergeben den Satz. So kann man Mythos und Musik durchaus<br />

miteinander vergleichen: beiden - dem Mythos und der Musik - fehlt jeweils ein<br />

Äquivalent <strong>zur</strong> Sprache. Positiv ausgedrückt, der Weg <strong>zur</strong> größten Sinneinheit ist bei<br />

beiden kürzer als bei der Sprache.<br />

Um eine weitere Ähnlichkeit von Musik und Mythos aufzuzeigen, zieht Lèvi-<br />

Strauss (ebd.) das Beispiel der Orchesterpartitur heran. Er sagt (ebd. S. 58), man<br />

müsse den Mythos ähnlich der Musik als eine Orchesterpartitur lesen und nicht wie<br />

ein Schriftstück von links nach rechts, Zeile für Zeile. Der Sinn ergibt sich für den<br />

„Lesenden“ erst in der Bündelung, im Erfassen der ganzen Seite (s. Absatz „Mythen<br />

– Traum – musikalische Partitur)<br />

Mythen<br />

Während heute in unserer Sprache der Begriff „Mythos“ die gegenteilige<br />

Bedeutung von „wahr“ hat, wurde der Begriff „Mythos“, ausgehend vom Weltbild<br />

des frühen Christentums bis ins 19. Jahrhundert in einem anderen Sinne verwendet:<br />

er stand für „wahr“ und „Wirklichkeit“. Die Erschaffung Adams und Evas, die<br />

Erschaffung der Welt, alles, was sich aus einem der beiden Testamente ableiten ließ,<br />

war „wahr“. Alles, was sich nicht von dort ableiten ließ, hieß „Fabel“. Mit dem<br />

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