wiener beiträge zur musiktherapie band 3 theorie ... - Praesens Verlag
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Musiktherapie als psychotherapeutischer Weg<br />
Grundhaltung der Bereitschaft, Antwort zu geben. Ohne das Nachreifen primärer<br />
Defizite, das Stimulieren basaler Entwicklungsprozesse und Raum für<br />
Bedürfnisbefriedigung kommt man dabei selten aus. Auf klassische Abstinenz wird<br />
verzichtet, statt dessen gilt ein Abstinenzbegriff, welcher alles unterläßt, was die<br />
Möglichkeiten des Patienten einschränken würde. Die Wahrnehmung der<br />
Gegenübertragung findet auf allen Ebenen – vor allem aber auf der<br />
psychosomatischen – statt und ist unerlässlich, besonders mit nicht redenden<br />
Patienten. Verbale Reflexion ist nicht immer möglich, dennoch muß der Therapeut<br />
innerlich reflektieren. Manchmal drückt er die Gedanken auch aus und gibt<br />
Deutungen. Aber das Durcharbeiten findet nonverbal mittels Musik statt (vgl.<br />
Oberegelsbacher, 1997). Darin liegt die große Möglichkeit der Musiktherapie.<br />
Gemeinsames Wagnis in einer Programmatischen Improvisation<br />
Eine musikalische Improvisation während einer Gruppentherapie in einer<br />
Tagesheimstätte, mit Jugendlichen, die intellektuell beeinträchtigt sind, kann ein<br />
hilfreiches Feld für Experimentieren und Sammeln neuer Erfahrungen sein. Vor<br />
allem betrifft dies den direkten emotionalen Ausdruck, die spielerische Gestaltung<br />
von Phantasien, Impulsen und Affekten, aber auch von Wünschen.<br />
Hier handelt es sich um eine sechsköpfige Gruppe von 18- bis 25jährigen, die<br />
einmal wöchentlich seit etwa eineinhalb Jahren zusammenkommen. Die meisten<br />
von ihnen können sich sprachlich artikulieren, einige tun es nicht, oder sprechen in<br />
sehr karger und unverständlicher Form. “Während der Stunde schlägt die<br />
Therapeutin einige Themen <strong>zur</strong> Auswahl für eine Improvisation vor. Alle Angebote<br />
sind auf die spezielle Dynamik dieser Gruppe und auf spezifische Probleme<br />
einzelner abgestimmt. Die Jugendlichen wählen “Heimlicher Spaziergang auf einem<br />
alten Dachboden”. Das Spiel beginnt ohne weitere Vereinbarungen und entwickelt<br />
sich zu einem abwechslungsreichen Miteinander, auch die Therapeutin spielt mit.<br />
Instrumente (Xylophon, Pauke, Kastagnetten, Zugpfeife, Harfe, Zieharmonika) und<br />
Körpergeräusche erklingen so, als werde ein Gemisch aus Gefahr, Angst, Lust,<br />
Neugier und Mut hörbar. Alle sind voll dabei: tiefernst oder kichernd, je nachdem ...<br />
Es liegt nahe, daß dieser alte Dachboden, auf dem natürlich die Gespenster nicht<br />
fehlen, mehr als nur ein Dachboden ist. Es ist ein existentieller Ort in ihrem Leben:<br />
der Ort, wo sie sich in einer ihnen unbekannten Realität bewegen und bewähren<br />
sollen; ihrer eigenen Neugier und Aggressivität begegnen, vieles mit dem<br />
Verständnis oft nicht integrieren können. Hier können die Spielenden das<br />
ausdrücken, wofür sie keine Worte haben, da es ihnen selten bewußt ist. Sie können<br />
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