wiener beiträge zur musiktherapie band 3 theorie ... - Praesens Verlag
wiener beiträge zur musiktherapie band 3 theorie ... - Praesens Verlag
wiener beiträge zur musiktherapie band 3 theorie ... - Praesens Verlag
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
BARBARA GINDL<br />
In der Arbeit mit frühgestörten Menschen ist mir wichtig, die kaum hörbaren,<br />
kaum spürbaren Signale ihrer Eigenaktivität oder ihren erst im Einschwingen<br />
begriffenen Eigenrhythmus wahrzunehmen, indem ich auf die „Musik hinter ihrer<br />
Musik“ - und dies verstehe ich durchaus nicht nur im wörtlichen Sinn - lausche,<br />
und wahrnehme, welche emotionale Resonanz sie in mir hervorrufen. Meine<br />
emotionale Resonanz, musikalisch und/oder leibhaft wahrnehmbar vermittelt in<br />
einem realen Medium durch mein Spielen, Singen oder durch meinen Körperkontakt<br />
das, was vorher nicht wahrgenommen und gespürt werden konnte. Dieser<br />
wechselseitige Resonanzprozess schafft einen entwicklungs- und<br />
wachstumsfördernden Beziehungsraum, in welchem die basale Dialogfähigkeit,<br />
welche sich aufgrund fehlender oder fehlabgestimmter Resonanzprozesse in der<br />
Kindheit nicht ausreichend entwickeln konnte, wieder nachwachsen kann. Im<br />
Herstellen dieser basalen Dialogfähigkeit als Grundlage jeder weiteren therapeutischen<br />
Arbeit liegt denn auch das grosse psychotherapeutische Potential<br />
musiktherapeutischer Beziehungsarbeit (Schumacher, a.a.O.)<br />
Die Resonanzprozesse und deren Fehlabstimmungen, die <strong>zur</strong> späteren<br />
Psychopathologie führen können, bilden sich auch in einer als psychotherapeutisch<br />
verstanden Musiktherapie ab und wiederholen sich hier. Darin liegt ein enormes<br />
(entwicklungs- und prozess-)diagnostisches Potential der Musiktherapie. Für<br />
frühgestörte Menschen ist gerade die Resonanz für ihre Dissonanzen oftmals eine neue<br />
heilsame Erfahrung. Damit meine ich, dass ich als Therapeutin darum weiss und es<br />
im Abbrechen meiner eigenen Resonanz fühlen kann, welche schweigenden Stellen in<br />
ihrem Körper und in ihrer Seele sind, in denen scheinbar nichts anklingt, wo sie nichts<br />
fühlen, wo sie nicht erreicht werden, wo der seidene Faden des Kontaktes immer<br />
wieder zu brechen droht. Diese Resonanzlosigkeit ist letztendlich ein<br />
Schutzmechanismus, der dem psychischen Überleben gedient hat. Hier als<br />
Therapeutin nicht vorschnell etwas zu machen, damit dieses Nichts gefüllt wird<br />
sondern es auszuhalten, meine eigenen Resonanzsaiten auf diese Leere<br />
einzustimmen aber im Kontakt zu bleiben (vor allem indem ich mit mir selbst in<br />
Resonanz bleibe) und immer wieder den Faden wieder anzuknüpfen erscheint mir<br />
in dieser Arbeit oft die schwierigste Herausforderung.<br />
Damit ist die Musiktherapie dem Ansatz der analytisch orientierten<br />
Körperpsychotherapien sehr nahe. Ausgehend von einem<br />
entwicklungspsychologisch grundgelegten Resonanzverständnis, in welchem der<br />
Körper das erste „Instrument“ dieser Resonanz ist, ist der aktive Einbezug des<br />
Körpers und der Körperarbeit in die Musiktherapie für mich evident (Gindl, 2000).<br />
Ich denke, dass Musik die Menschen (auch körperlich) sehr tief berühren kann<br />
(also z. B. auch tiefe Körperregressionen auslösen kann), wo die direkte körperliche<br />
Berührung oder aktive Körperarbeit noch viel zu angstbesetzt ist und deshalb nicht<br />
46