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wiener beiträge zur musiktherapie band 3 theorie ... - Praesens Verlag

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Bin ich?<br />

In der Folge arbeitete ich mit Maria hauptsächlich am Klavier. Sie setzte sich<br />

erstmals so hin, daß sie von mir abgewendet war, sie suchte keinen Körperkontakt<br />

und sie benützte das Klavier um mir ihre Wünsche mitzuteilen! Wenn meine Musik<br />

zu lieblich, zu melodiös oder zu langsam wurde, schlug sie mit beiden Händen auf<br />

die Tasten.<br />

Manchmal schien Marias selbstverletzendes Verhalten wie ein Spiel, ein<br />

Ausprobieren und Differenzieren: leichteres Schlagen auf den Kopf, dann wieder<br />

stärkeres, Streicheln, Ziehen, Reißen an den eigenen Haaren, sowie Kratzen - in<br />

verschiedensten Intensitäten. Sie prüfte genau, ob ich die jeweilige Intensität<br />

„richtig“, d.h. musikalisch stimmig, umsetzte und reagierte verärgert mit<br />

selbstverletzenden Verhaltensweisen, wenn ich die richtige Stimmung nicht traf.<br />

Inhaltlich forderte Maria nicht mehr nur die symbiotisch-musikalische Einheit<br />

mit mir. Sie reagierte entspannt und manchmal sogar mit Freude auf Rhythmen und<br />

Harmonien, die überraschend auftauchten, und die nicht denen der Kinder- und<br />

Wiegenlieder oder unserer symbiotischen Musik entsprachen, wie z.B. auf schräge<br />

Disharmonien, Ganztonmusik, offene Enden, lange, spannende Pausen,<br />

synkopische Rhythmen. In dieser Phase fühlte ich mich manchmal in meiner<br />

musikalischen Ausdruckbreite bis an meine persönlichen Grenzen gefordert: Die<br />

Ideen gingen mir aus. Verzweiflung über meine „Unfähigkeit“ schien Maria<br />

manchmal zu überwältigen und auch ich hatte manchmal das Gefühl, zu Resonanz<br />

nicht mehr fähig zu sein, was unsere therapeutische Beziehung auf den Prüfstand<br />

stellte.<br />

Hilfe für meine Arbeit habe ich immer wieder in Büchern der französischen<br />

Psychoanalytikerinnen Eliacheff und Dolto gefunden. Sie haben mir Mut gemacht,<br />

Durchhaltevermögen vermittelt und interessante Denkanstöße gegeben.<br />

Bezüglich Marias Vorliebe nach „eckiger“ Musik, nach Musik der<br />

Überraschungen, bestätigte in dieser Zeit Dolto meine Ansicht, daß dies nicht nur<br />

der Wunsch nach neuen Reizen, nach Ungewöhnlichem oder nach Abwechslung<br />

sei, sondern daß diese Musik vielmehr der adäquate Ausdruck für Marias<br />

Lebensfrage ist.<br />

So schreibt Dolto (1985, S. 156 f.) sinngemäß: Rhythmen sind ein Versuch, fetale<br />

Eindrücke zu symbolisieren. Der Verlust der rhythmischen Komplexität, der sich<br />

überlagernden, aufeinander treffenden und sich wieder trennenden Herzschläge,<br />

sowie der Verlust des Wassers, das die Umhüllung darstellt, sind wie der Verlust<br />

einer Mutter aus jener archaischen Zeit, oder eines Sicherheit spendenden Wesens,<br />

das aus dem Inneren des Kindes verschwunden ist und das es nicht symbolisieren<br />

kann.<br />

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