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wiener beiträge zur musiktherapie band 3 theorie ... - Praesens Verlag

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DOROTHEA OBEREGELSBACHER<br />

Eingang findet: Ich selbst befand mich einige Wochen nach dem Jungen bei<br />

meinem Zahnarzt, der sich als derselbe herausstellte! So bestand die Möglichkeit,<br />

unter Wahrung der Privatsphäre einige Informationen zu erhalten, die sinngemäss<br />

besagten: Der Junge war in keinster Weise eigenartig oder sonstwie auffällig<br />

gewesen...<br />

Was mir so wenig bedeutsam und uneffizient erschienen war – jene wenigen<br />

musikalischen Improvisationen, in welchen wir die gefährlichen Situationen<br />

vorweggenommen hatten – das hatte eine eigene Dynamik entwickelt und war in<br />

unserer Begegnung soweit gereift, dass es eine Metapher mit heilsamen und<br />

stützenden Eigenschaften werden konnte. Welche Metapher? Eine Bildmetapher?<br />

Nein, es war eine Klangmetapher.<br />

Es war eine jener Metaphern, die das akustische Repräsentationssystem betreffen<br />

und so sicherlich um einiges suggestiver, tiefgreifender sind, da sie mit den<br />

ontologisch ältesten Schichten der Person zu tun haben: Sie sind in der<br />

Rhythmizität, im Tempo des Atems, in prälogischen Strukturen verwurzelt. Als<br />

akustische Metapher setzt sie auf die Imitation von organischen Phänomenen und<br />

repräsentiert sie in einer anderen Sprache: Herzschlag auf Xylophontönen. Sie<br />

bewegt sich auf affektiv-emotionalen Schienen und ist auch stark im aktionalen<br />

Repräsentationssystem verankert, welches noch archaischer als das symbolischrationale<br />

ist.<br />

Eines Tages kommt der Junge in die Stunde und konfrontiert mich mit vier<br />

Silben, die er unablässig wiederholt und mit großer Intensität aber niedriger<br />

Lautstärke flüsternd ausstößt: „Do! To! Er! Hn!“. Obwohl ich den Sinn dieser<br />

Silben nicht begreife, beginnen wir die Silben gemeinsam zu wiederholen und zu<br />

rhythmisieren: zunächst vokal, dann mit den Xylophon. Nach einiger Zeit klärt sich<br />

die Bedeutung: „Doktor Behran“ (der Name des Arztes). Dieser Name beginnt nun<br />

riesig zu werden, aufgebläht und beladen mit Affekten. Die ausgestoßenen Silben<br />

mit gutturalen und labialen Lauten entladen sich mit großer Explositvität, und<br />

erinnern an einen gereizten Hund, bevor er zubeißt. (Daß die harten Konsonanten<br />

„t,k,r,d“ häufig in aggressiven Formulierungen anzutreffen sind, bestätigen auch die<br />

Sprachforschungen des Psychoanalytikers Ivan Fonagy (1993, zit. nach Di<br />

Benedetto, 1999, S. 21 f.). Er unterscheidet zwei Grundemotionen: den Zorn und<br />

die Zärtlichkeit. Erstere geht mit einer erhöhten Muskelanspannung einher, das<br />

Melodische und die Vokale treten zugunsten des Rhythmischen und der<br />

Konsonanten <strong>zur</strong>ück. Diese körperlichen Veränderungen gelten als Residuen einer<br />

urzeitlichen Kampfbereitschaft). Die hohe Expressivität während dieses Audrucks<br />

„Do! To! Er! Hn!“ könnte auch in einem Konzertsaal während einer modernen<br />

Vokal-Performance vorkommen... Ausstoßung des Bedrohlichen, Benennung des<br />

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