wiener beiträge zur musiktherapie band 3 theorie ... - Praesens Verlag
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Der Stellenwert des „Dritten“<br />
Analog dazu sprechen wir im psychologischen Sinne von einem Trauma, wenn die<br />
Seele durch einen äußeren Einfluß verletzt oder geschädigt wurde. Können wir auch<br />
davon ausgehen, daß ein Trauma lebensbedrohliche Veränderungen psychischer<br />
Prozesse – mit den entsprechenden Auswirkungen auf das Erleben und Verhalten –<br />
nach sich zieht? Wir denken, Traumatisierung bedeutet im psychologischen Sinn<br />
genau das; eine existentiell bedrohliche Erfahrung, eine massive Verletzung unserer<br />
psychischen Wirklichkeit und daraus resultierende dramatische Veränderungen in<br />
allen psychologischen Variablen. Eine traumatisierte Person muß also zum einen die<br />
Verletzung und die daraus resultierenden psychischen Veränderungen verkraften.<br />
Zum anderen muß sie zusätzlich dem Faktum Rechnung tragen, daß mit einem<br />
Schlag die Sicherheit, die durch ein konstantes inneres Erleben und diesem entsprechendes<br />
Verhalten vorhanden war, verloren gegangen ist. Dieser Verlust der Sicherheit<br />
macht die Phase der posttraumatischen Anpassung zu einer Zeit der erhöhten<br />
Vulnerabilität“ (S. 176, ff).<br />
Diese Trauma-Definition trifft m.E. auch auf den Zustand nach Hirnverletzung<br />
zu, ja, er beschreibt ihn m.E. überaus treffend. Auch verknüpfen Butollo et al.<br />
(1999) das traumatische Erleben mit dem Begriff des Verlustes: „Eine traumatische<br />
Erfahrung hat immer mit der Beziehung zwischen Innen und Außen, mit dem Erleben<br />
eines Verlustes äußerer Wirklichkeit oder der Verletzung durch äußere Realität<br />
zu tun. Eine traumabedingte Störung nun bezeichnet nach unserem Verständnis<br />
immer den Verlust oder die schwere Verletzung der Grenze zwischen Innen und<br />
Außen.<br />
Dieser Verlust kann auf allen Ebenen stattfinden: der biologischen (z.B. Verlust<br />
von Körperteilen, bleibende Schädigungen), der psychologischen (Verlust von Wertesystemen<br />
oder Überzeugungen), der sozialen (Verlust von nahestehenden Personen,<br />
Verlust von sozialen Ressourcen) und / oder der spirituellen Ebene (Verlust<br />
einer zuvor vielleicht erlebten transpersonalen Verbundenheit). Alle auf den Verlust<br />
hin stattfindenden Prozesse wirken auf das gesamte System“ (S. 178 ff. ). Ein Autonomieverlust,<br />
dramatisch erfahrbar bei Hirnverletzung, bewirkt Ohnmachts- und<br />
Entwertungsgefühle, ein idealer Nährboden für Destruktivität.<br />
Der Verlust der eigenen körperlichen Unversehrtheit bedeutet zugleich auch den<br />
Verlust des Selbstwertgefühls, der verstümmelte Körper wird als Kränkung und<br />
Demütigung erlebt. Neurologische Erkrankungen provozieren mithin geradezu die<br />
Auslösung destruktiver Impulse, weil in der Person des Erkrankten alle die gefühlsmäßigen<br />
Anteile belebt werden, die <strong>zur</strong> Entstehung von Destruktivität beitragen.<br />
Die ohne eigenes Zutun vom „Schicksal“ bewirkte Zerstörung des Körper -<br />
und/oder Geist-Selbst wird mit dem Wunsch <strong>zur</strong> Zerstörung der noch Gesunden<br />
beantwortet. Rache zu nehmen für die erlittene Demütigung und die zerstörte Zukunft,<br />
mag der entscheidende Impuls sein.<br />
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