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wiener beiträge zur musiktherapie band 3 theorie ... - Praesens Verlag

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ISABELLE FROHNE-HAGEMANN<br />

Miriams Traum (32 Jahre) 2<br />

"Ich sehe von einem Hügel aus die Hauptstraße der Stadt meiner Kindheit. Es<br />

hat ein Unfall stattgefunden. Ich komme näher und es wird immer erschreckender.<br />

Meine Großmutter ist überfahren worden, ihr Gesicht ist aber friedlich. Ihre Haut<br />

ist so pergamentartig, verrunzelt, aber darunter warm. Ich bin traurig, aber auch<br />

stolz auf die würdige Haltung meiner Großmutter. Plötzlich bin ich Sys, die 15 Jahre<br />

alt ist. Sys sammelt das geronnene Blut der Großmutter ein, das wie ein Puzzle<br />

aussieht. Dabei wird Sys immer jünger, schließlich ist sie 3 Jahre alt."<br />

Nach dem langsamen und gefühlten Erzählen des Traumes in der Gegenwart<br />

spürt Miriam vor allem die erschreckende Atmosphäre. Daher wird Miriam gebeten,<br />

die Atmosphäre der ersten Szene (jene, als sie vom Hügel aus sieht, dass etwas<br />

immer näher kommt) musikalisch zu gestalten. Miriam wählt Gruppenmitglieder<br />

aus, die auf ihre Anweisung dumpfe Paukenschläge spielen, dazu Kratzen auf der<br />

Conga mit plötzlichen Wischbewegungen, dazu noch kurze Akkorde auf dem<br />

Klavier. Miriam hört sich nun in einer exzentrischen Position, also nicht<br />

mitspielend, diese Musik an, lässt sie auf sich wirken und spürt mit dem ganzen<br />

Leibe wie erschreckend die Szene ist. Die leibliche Resonanz öffnet die Archive<br />

ihres Leibgedächtnisses und sie merkt, dass und wie viel die Szene mit ihr zu tun<br />

hat. In der Atmosphäre sind Szenen und Gefühle verdichtet und dies bezieht sich<br />

auch auf den Anblick der Großmutter. Das Erschreckende zeigt sich ihr jetzt im<br />

Verrunzelten, Pergamentartigen im Gegensatz zum Warmen, Friedlichen. In der<br />

Musik hat sie zunächst mehr das Unheimliche, Groteske zum Ausdruck gebracht,<br />

doch ist dies nur die Figur vor dem Hintergrund, der ihr jetzt bewusster wird. Da<br />

die Diskrepanz zwischen den beiden Polen genügend erlebbar geworden zu sein<br />

schien, schlage ich Miriam vor, die Großmutter einen Moment zu verlassen und sich<br />

der Sys 3 zuzuwenden und sie hörbar zu machen. Miriam wählt das Klavier, auf<br />

dem sie folgende Melodie spielt:<br />

Sie findet die Melodie sehr fröhlich, „ganz o.k.“, d.h. sie scheint emotional dabei<br />

nicht viel zu empfinden. Ich bitte sie deshalb, die Melodie auch einmal zu singen,<br />

2 Alle im Folgenden erwähnten Träumerinnen haben mir ausdrücklich ihr Einverständnis für eine<br />

Veröffentlichung gegeben. Ihre Namen sind jedoch verändert.<br />

3 Miriam ist Dänin und "Sys" könnte auf dänisch ein Name, aber auch eine Abkürzung für "Schwester" sein<br />

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