wiener beiträge zur musiktherapie band 3 theorie ... - Praesens Verlag
wiener beiträge zur musiktherapie band 3 theorie ... - Praesens Verlag
wiener beiträge zur musiktherapie band 3 theorie ... - Praesens Verlag
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Popmusik als Teil des Behandlungsprogrammes<br />
transponierte oder Reihenfolgen veränderte, machte er Fehler oder unterbrach<br />
abrupt. Das bestätigte seine Meinung, dass sein Gesang nichts taugte und dass er<br />
mein Urteil über seine Fähigkeiten nicht ernst nehmen konnte. Der wirkliche Grund<br />
war, dass er neben einem guten Gedächtnis auch noch ein absolutes Gehör hatte.<br />
Bei jedem neuen Lied nahm er die Tonart in sich auf und es kostete es ihn<br />
unglaublich viel Anstrengung diese zu verändern, auch wenn die veränderte Tonart<br />
viel besser zu seiner Stimme passte. Er musste und wollte nach seiner eigenen<br />
Überzeugung handeln. Wir haben damals mit Bandaufnahmen gearbeitet sodaß er<br />
sich objektiver seine eigenen Leistungen anhören konnte.<br />
Eines Tages erschien er mit einer E-Gitarre und bat um Gitarrenunterricht.<br />
Glücklicherweise hatte er wenig Talent, sodass ich mich nun auch mit seinen<br />
wirklichen Beschränkungen beschäftigen konnte. Er lernte alles übers Gehör und<br />
konnte mit bescheidenen Mitteln prima improvisieren. Von Theorie wollte er nichts<br />
wissen.<br />
Wegen seiner Talente und den dünnen Wänden des Klinikgebäudes wurde er<br />
schon schnell, zu schnell fand ich, gefragt, ob er nicht Lust hätte, in einer Band<br />
mitzuspielen. Obwohl ich große Probleme sah, war er von seinem Plan nicht mehr<br />
abzubringen. Ich verlangte von ihm, daß er auch noch einzeln zu mir kommen<br />
müsse. In dieser Gruppe kam er schnell dahinter, daß, um ein guter Musikant zu<br />
sein, mehr nötig war, als große Begabung und eine gute Stimme.<br />
Seine Spaß-/Frustrationsbalance wechselte rasch und trotz großem Einsatz<br />
gelang es ihm nicht, den anderen seine Ideen nahe zu bringen, weil diese seine Ideen<br />
nicht so schnell verarbeiten konnten. Das führte zu ernsthaften Konflikten. Er lief<br />
schimpfend weg, schlug mit Türen und drohte, nicht mehr <strong>zur</strong>ückzukommen. Im<br />
Einzelunterricht besprachen wir, was passiert war. Er gab den anderen alle Schuld.<br />
Er war davon überzeugt, dass die anderen schlechte Musikanten waren und daß er<br />
der einzige war, der sich wirklich einsetzte. Ich ließ ihn ausreden und legte ihm<br />
danach meine Sicht der Dinge dar. Er wollte nur mit Mühe einsehen, daß er den<br />
anderen vielleicht ein bißchen zu wenig Raum gegeben hatte, um ihre Kritik zu<br />
äußern, zu üben oder mit eigenen Ideen zu kommen.<br />
In der nächsten Session nahm er das Besprochene sehr ernst und es zeigte sich<br />
wiederum seine Ohnmacht mit Kritik umzugehen sehen. Kenneth überließ nun alle<br />
Initiativen den anderen, brachte selbst nichts ein und lachte arrogant als die Probe<br />
wieder schiefging. Und auch diesmal wurde die Session besprochen. Erst seine<br />
Meinung und danach die Meine. “Warum ist es immer meine Schuld?” rief er<br />
klagend, nachdem ich meine Beobachtung ausgesprochen hatte. Ich versuchte ihm<br />
zu erklären, daß es schwer sei, anderen etwas näher bringen zu wollen, wenn man<br />
den Fachjargon nicht beherrsche und daß dieser ihm doch Dienste leisten könne<br />
241