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wiener beiträge zur musiktherapie band 3 theorie ... - Praesens Verlag

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ROLAND WÖLFLE<br />

aggressiv erlebte. Dies eröffnete u.a. die Möglichkeit, einen der adlerianischen<br />

Grundbegriffe zu erörtern, nämlich den der „tendenziösen Apperzeption“, wonach<br />

ein und das selbe Geschehen von verschiedenen Personen ganz unterschiedlich erlebt<br />

werden kann – in Übereinstimmung mit dem individuellen Lebensstil. Im Gegensatz<br />

zu den meisten anderen Akteuren erlebte sie die Situation als bedrohlich,<br />

gleichzeitig war sie auch betroffen darüber, dass sie in Zuständen der Berauschung<br />

selbst auch so war. Auch wenn sie im Gruppenprozess keine konkreten Lösungsmöglichkeiten<br />

erarbeiten konnte, gewann sie an Selbstvertrauen und war sich hinsichtlich<br />

der Motivation zu Alkoholabstinenz viel sicherer.<br />

7. Freude und „flow“ durch gemeinsame Improvisation<br />

Im gemeinschaftlichen Improvisieren können Momente entstehen, die als freudvoll<br />

erlebt werden, in welchen sich die Lust am Spiel und an Kreativität offenbart,<br />

die von Glücksgefühlen durchströmt sind und die schließlich ein Gefühl von Zufriedenheit<br />

und Erfüllung hinterlassen. Herr W., 42 Jahre, gebürtig von einer englischen<br />

Kanalinsel und aus partnerschaftlichen Gründen nach Vorarlberg gekommen,<br />

ist von hünenhafter Gestalt, trägt wallendes, hüftlanges Haar und präsentiert sich<br />

durchdrungen vom Geist von Hardrock-Bands der 70er-Jahre. Eine Galionsfigur ist<br />

der Säger Ozzy Osbourne, der gemeinsam mit seiner Band Black Sabbath für spezielle<br />

Bühnenshows bekannt war, die nach Ritualen von schwarzen Messen inszeniert<br />

wurden und der anlässlich von derartigen Konzerten auch einmal einer Fledermaus<br />

den Kopf abgebissen haben soll. Heute ist Ozzy Osbourne ein kranker<br />

Mann, schwerst gezeichnet durch Drogenkonsum und Alkoholexzesse. So erscheint<br />

Herr W. in der heutigen Zeit völlig deplatziert. Er lebt nach einer Scheidung isoliert<br />

in einer Arbeiterwohnung seiner Baufirma. Er ist zwar schon mit 17 Jahren nach<br />

Österreich gekommen, kann aber kaum deutsch. Er wirkt äußerst unbeholfen und<br />

seine mächtige Erscheinung kontrastiert eindrücklich mit seiner Unsicherheit und<br />

Hilflosigkeit. Er hat Schwierigkeiten, ein Instrument auch nur auszuwählen, geschweige<br />

denn ist er in der Lage, irgendetwas zu spielen – zumindest während der<br />

ersten Stunden. Im Rahmen einer Übung über Aggression gelingt es ihm erstmalig,<br />

sich der Gruppe verbal mitzuteilen. Er hätte schon als Jugendlicher massiv mit aggressiven<br />

Impulsen zu kämpfen gehabt, er hätte auch schon mit den Fäusten Mauern<br />

durchschlagen. Alkohol hätte dazu gedient, sich zu beruhigen und derartige Affektdurchbrüche<br />

zu verhindern. Er hätte sich immer davor gefürchtet, einmal jemanden<br />

umzubringen. Diese Themen sind stark schambesetzt. Er ist erleichtert,<br />

nachdem es ihm gelingt, sich in der Gruppe offen zu äußern und er findet allgemein<br />

Anteilnahme und Unterstützung. Er hat zu diesem Zeitpunkt eine Conga auf den<br />

Knien und teilt mit, dass er es sehr bedauere, keinen Rhythmus spielen zu können.<br />

Er wird dann gefragt, ob er sich nicht Unterstützung holen wolle. Er wählt eine<br />

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