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wiener beiträge zur musiktherapie band 3 theorie ... - Praesens Verlag

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Die Macht der Musik<br />

Jahren ein erfolgreicher Tanzmusiker. In der Vorstellungsrunde entscheidet er sich<br />

für Congas und trommelt einen Marschrhythmus, wobei einige Mitpatienten einsteigen<br />

und „mitmarschieren“, aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Es findet ein<br />

Kampf um das Tempo statt, woraufhin ihn auch die anderen verlassen. Er spielt<br />

dann alleine und fühlt sich einsam. Er assoziiert spontan Trinksituationen, die es<br />

ihm erleichtert haben, diese dominante Rolle zu spielen, z.B. im Fasching, bei Feuerwehrfesten<br />

etc. Bearbeiten lassen sich auch Rebellion und ein Protestverhalten,<br />

etwa bei einer Gruppenimprovisation „Wintermusik“, wenn er eine Ocean-Drum<br />

auswählt, um damit ausgerechnet Meeresrauschen und Südseestimmung zu simulieren.<br />

Die Mitpatienten fühlen sich irritiert und provoziert. Eine ähnliche Situation<br />

wiederholt sich, als er an einer ruhigen Stelle einer Gruppenimprovisation einen aggressiven<br />

„Paukenschlag“ setzt, woraufhin alle erschrecken und aufhören. Aspekte<br />

der Machtausübung im Sinne von Überlegenheitsdemonstrationen und Beherrschung<br />

anderer können Herrn F. gespiegelt werden, ebenso wie seine offensichtliche<br />

Ignoranz und Arroganz. In einer vertrauten und stützenden Gruppensituation<br />

reagiert er zunächst überrascht und kann in einem zweiten Schritt diese Deutung<br />

auch annehmen. In einer späteren Übung spielt er leise auf einem Xylophon und<br />

kann sich in ein gemeinsames Ganzes besser einfügen. Sein narzisstisches Größenselbst<br />

kommt allerdings in einer späteren Entspannungsübung mit dem Monochord<br />

wieder zum Ausdruck: „Es ist eine weite und schöne grüne Landschaft, wie das<br />

Schlaraffenland, und alles gehört mir!“ Herrn F. kann durch diese Imagination sein<br />

Bedürfnis nach passiver oraler Versorgung gedeutet werden, was in seiner Suchtentwicklung<br />

eine wesentliche Rolle spielte. Am Abschluss des Gruppenprozesses<br />

stellt er fest, dass Integration angenehm sein kann. Er müsse nicht immer eine Führungsposition<br />

einnehmen und sich nicht ständig verantwortlich fühlen. Er könne<br />

den Dingen auch einmal ihren Lauf lassen und sich entspannt <strong>zur</strong>ücklehnen. Im<br />

weiteren Gruppenprozess nahm er sich öfters <strong>zur</strong>ück oder versuchte, seine Beiträge<br />

auf das Gruppengeschehen abzustimmen.<br />

3. „Brav“ und „schlimm“<br />

In einer anderen musiktherapeutischen Gruppe wählt eine überangepasste,<br />

sanftmütig erscheinenden Patientin, 45 Jahre, ein Kinderxylophon und spielt „Sah<br />

ein Knab’ ein Röslein steh´n’“. In der gemeinsamen Reflexion wird der Gegensatz<br />

zwischen der einschmeichelnden Melodie und dem teilweise brutalen Inhalt angesprochen.<br />

Plötzlich verändert sich die Patientin gegenüber ihrer sonst fast lieblichen<br />

Fassade: „Ich kann beißen, kratzen und spucken!“ Der Patientin gelang es, im Rahmen<br />

des weiteren Gruppenverlaufs auf musikalische Art und Weise einen besseren<br />

Zugang zu ihrer aggressiven Seite und zu Affekten wie Wut und Ärger zu finden,<br />

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