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wiener beiträge zur musiktherapie band 3 theorie ... - Praesens Verlag

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Der Stellenwert des „Dritten“<br />

Klavierklänge ermöglichten ihr dann ein ruhig-sanftes Versunkensein und In-Sich-<br />

Hineinlauschen.<br />

Ihr Weg in der ersten Stunde von der Leier über das Klavier <strong>zur</strong> Bongo und <strong>zur</strong>ück<br />

<strong>zur</strong> Leier am Ende der Stunde war wie ein gelebtes „Aus-Sich-<br />

Herauskommen“ ( = crescendo ) und „Wieder – Zurücknehmen“ ( = decrescendo).<br />

Auf dem Höhepunkt des crescendos kam Verwirrung auf, Angst vor dem, was sich<br />

da entäußern wollte. Im Alltagsumgang war Frau F. <strong>zur</strong>ückgenommen, ihre aggressiven<br />

Ausbrüche fanden nur in Halbschlafphasen statt. Nun konnte sie bei völliger<br />

Wachheit im klanglichen Gestalten mit diesen für sie sonst unerreichbaren Gefühlen<br />

in Verbindung kommen.<br />

Nach dieser ersten Stunde bereits schlief Frau F. die Nächte durch, aggressive<br />

Ausbrüche gegen ihren Mann kamen nicht mehr vor. Es wäre sicherlich vermessen,<br />

diesen Erfolg einzig auf die Musiktherapie <strong>zur</strong>ückzuführen. Immer ist es ein multikausales<br />

Geschehen, das Veränderung ermöglicht. Aber das Kanalisieren, das Entäußern<br />

im Wachzustand, das symbolische Verarbeiten durch die Gestaltung der Gefühle<br />

im konkret-klanglichen Ausdruck hat sicherlich eine entlastende, katharsisähnliche<br />

Funktion, die in diesem Fall ausreichte, die zum Krankheitsbild gehörende<br />

„Verhaltensstörung“ zu korrigieren.<br />

Mit der Angst angenommen werden<br />

Die Angst war damit jedoch noch lange nicht überwunden, sie war nur mehr ins<br />

Bewußtsein gerückt und mußte nicht mehr abgewehrt werden. In der dritten Stunde<br />

wiederholte sich das Klaviergegrolle aus der ersten Stunde. Es wurde jedoch immer<br />

lauter – denn sie hatte sich die tiefere Hälfte des Klaviers gewählt, ich sollte auf der<br />

hohen Seite mit ihr mitspielen. Die dunklen Töne schwollen bedrohlich an, besonders,<br />

als ich etwas Ruhiges einflocht bzw. dagegenzusetzen versuchte. Nach solchen<br />

Momenten jagten wir uns gegenseitig über die Tasten, ein wildes, chaotisches Spiel,<br />

das von ihr angetrieben wurde. Ihre Angst vor der Lautstärke hatte offenbar abgenommen,<br />

denn sie eilte als nächstes <strong>zur</strong> Gongwand. Ich versuchte noch einmal ein<br />

ruhiges, langsam fließendes Thema dagegenzusetzen. Sie aber brachte mit schnellen<br />

Bewegungen die Instrumente zum Zittern, zögerte nicht vor ihrer anschwellenden<br />

Gewalt, sprang über <strong>zur</strong> Gong-Drum, setzte auch die in machtvoll-vibrierende Bewegung<br />

...Ein abruptes Ende ließ die Grenze ihrer Belastbarkeit ahnen.<br />

Mich brauchte Frau F. vor allem als Hinhör-Partnerin, als Hörende, die standhalten<br />

konnte. Was ich zu sagen hätte, war noch nicht wichtig. Nur eines war wichtig:<br />

ihr nicht das Gefühl aus<strong>zur</strong>eden, durch die so geläufigen Worte: „Du brauchst keine<br />

Angst zu haben, es wird schon wieder alles gut.“ Musikalisch übersetzt wären das<br />

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