29.05.2014 Aufrufe

wiener beiträge zur musiktherapie band 3 theorie ... - Praesens Verlag

wiener beiträge zur musiktherapie band 3 theorie ... - Praesens Verlag

wiener beiträge zur musiktherapie band 3 theorie ... - Praesens Verlag

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

GISELA M. LENZ<br />

Arm. Schnell ist sie umringt von Kindern und den jüngeren aus der Gruppe. Einige<br />

der Alten bleiben sitzen. Lebhaft wird über die Dinge des Alltäglichen gesprochen -<br />

da fängt das Kind an zu quengeln... Die ganze Gruppe nimmt (die Alten eingeschlossen)<br />

- als hätte ein Dirigent ein Zeichen gegeben - unisono die Unmutsäußerungen<br />

des Kindes auf... es entsteht ein Wechselspiel - die Gruppe ist in sich (Tonhöhe,<br />

Rhythmus, Motiv) und im Kontakt mit dem Kind perfekt abgestimmt .. das<br />

Kind beruhigt sich.<br />

Mich hat dieses Spiel fasziniert - eine archaische Form von "miteinander-sein",<br />

ein "miteinander-sein", in dem ein "aufeinander-bezogen-sein" spürbar war. Diese<br />

Menschen unterschiedlichen Alters sind sich begegnet, haben einen musikalischen<br />

Raum geteilt, sie waren auf derselben Wellenlänge... So kann sich Spannung lösen<br />

und ein Raum für neue Erfahrungen öffnen.<br />

Nach Daniel Stern dienen menschliche Beziehungen der gegenseitigen Regulation<br />

und diese zutiefst „musikalische“ Erfahrung ist ein schönes Beispiel dafür.<br />

Udo war Wunschkind gewesen. Er kommt mit der Diagnose “verzögerte Sprachentwicklung”<br />

in die Musiktherapie. Als Baby hat er exzessiv geschrien und jetzt -<br />

im Alter von fast 2 Jahren - verfügt er über ein Repertoire von nur ungefähr 5<br />

Wörtern. Die Mutter berichtet, wenn ihm etwas nicht passe, fange er an zu schreien<br />

„wie ein Tier“ und sie müsse raten, was jetzt los sei. Nach der Geburt hatte die<br />

Mutter sich - entgegen besserem, intuitivem Gespür - dem Vater des Kindes untergeordnet,<br />

der von ihr verlangte, daß sie das Baby bei jedem “Mucks” stille. Sie meint<br />

selbst, sie hätte oft den Eindruck gehabt, Udo wolle jetzt gar nicht trinken. So hatte<br />

Udo wohl oft das Gefühl, “ich werde nicht verstanden” und die Motivation verloren,<br />

in Kommunikation mit seiner Mutter zu treten.<br />

In den ersten Stunden wirkt Udo grenzenlos. Er läßt sich aber von Instrumenten,<br />

insbesondere von Rasseln fesseln. Es zeigt sich, daß affektiv-motorische Aktivität<br />

und lautlicher Ausdruck nicht Hand in Hand gehen: Der Klang von Rasseln animiert<br />

ihn, begeistert die Arme nach oben zu reißen. Sein Mund öffnet sich dabei - es<br />

kommt aber kein Ton heraus. In solchen offensichtlich “nicht passenden” Szenen<br />

greife ich ein. Ich nehme mir auch zwei Rasseln, spiele mit, imitiere, begleite und<br />

kommentiere sein, wie auch mein Spiel, bis wir uns beide im freien, lustvollen Spiel<br />

finden. Am Ende der Stunde sind seine stimmliche Äußerung und das Agieren mit<br />

Instrumenten zum ersten Mal ‘stimmig’.<br />

Nach wenigen Stunden entdeckt er mit mir vokale Spielchen (brabbeln, la-la<br />

usw.), die seinem Alter eigentlich nicht entsprechen, ihm aber große Freude machen.<br />

Sofort läuft er zu seiner Mutter und fordert sie auf, mitzutun. Hier zeigt sich,<br />

daß ihr diese Ebene fremd und peinlich ist. Der Junge versucht es immer wieder, ich<br />

266

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!