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wiener beiträge zur musiktherapie band 3 theorie ... - Praesens Verlag

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„Ich möchte noch so gerne 10 Jahre leben“<br />

ob sie mir sagen wollte: „Ich fühle mich schwach, ich halte nicht viel aus, bitte tu<br />

mir nicht weh.“ Auf der Kalimba greife ich diese Signale auf und spiele mit wenigen<br />

Tönen eine gleichbleibende Grundlinie.<br />

Zur dritten Stunde wartet sie bereits auf mich und will trotz noch größerer<br />

Schwäche unbedingt mitkommen und spielen. Die Pauke hat es ihr diesmal angetan.<br />

Ich unterstütze ihre vorsichtigen Paukenschläge mit kraftvollen Klavierakkorden:<br />

Diese Kraft scheint sie mit der Pauke aufzusaugen und begleitet mich mit einem<br />

festlich-energievollen Rhythmus mit großen Armbewegungen. Diese Musik wird<br />

nun in den nächsten Stunden zu „unserer Musik“: Die sich wiederholende bekannte<br />

Struktur, nämlich Pauke-Klavier mit einem festen Grundrhythmus ermöglicht eine<br />

neue Lebendigkeit. Blickkontakt, kurze Frage- und Antwortteile, dynamische<br />

Veränderungen und wechselnde Tempi gelingen ihr wie von selbst und lassen uns<br />

spielen wie ein lang aufeinander eingespieltes Duo.<br />

Nach einer vierwöchigen Beurlaubung kommt sie <strong>zur</strong> weiteren Behandlung<br />

wieder auf Station. In der Therapie erzählt sie mir, wie gut es ihr gehe, sie fühle sich<br />

fast normal, sei einkaufen und spazieren gegangen, habe ihrem Mann im Haushalt<br />

geholfen und auch viel Besuch bekommen. Heute würde fröhliche Musik passen.<br />

Sie wählt sich hierfür das Glockenspiel, ich nehme die Gitarre. Ihre anfänglich<br />

kurzen Motive entwickelt sie zu immer komplexeren Melodieverläufen und längeren<br />

Spannungsbögen. Nach zehn Minuten fröhlicher und unbeschwerter Musik hören<br />

wir gemeinsam auf.<br />

Wir vereinbaren weitere Termine für jene Tage, an denen sie ambulant in die<br />

Klinik kommen wird.<br />

Zu Frau Baumann, einer 34-jährigen Frau mit einer frisch diagnostizierten Leukämie,<br />

werde ich schon kurz nach der Diagnosestellung gerufen. Dieser zweite Fall ist<br />

etwas anders: Sie sei „total fertig“ und würde nur noch heulen. Das Pflegepersonal<br />

fühle sich hilflos.<br />

Als ich mich bei ihr mit der Musiktherapie vorstelle, wirkt sie nicht sonderlich<br />

begeistert, sagt aber, sie könne es ja mal versuchen, es würde ja wohl nichts schaden.<br />

Sie hat ein großes Bedürfnis, über ihre Situation zu sprechen: Sie könne sich<br />

überhaupt nicht beschäftigen, denn die Dinge, die sie ausgefüllt hätten, nämlich ihre<br />

Arbeit, der Haushalt, Einkaufen gehen, Zigarettenrauchen und das Zusammensein<br />

mit ihrem Mann und ihrer Schwester, könne sie hier nicht mehr tun. Ich habe<br />

Mühe, die Zeit einzuhalten, verspreche ihr aber, am Donnerstag für einen<br />

Musiktherapie- termin wiederzukommen.<br />

Ich möchte nun nicht den Verlauf der einzelnen Stunden widergeben, sondern<br />

nur in großen Zügen beschreiben, was in der Therapie mit Frau Baumann geschieht.<br />

Zum Ausprobieren der Instrumente läßt sie sich selten motivieren, auch möchte sie<br />

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