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Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

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<strong>Die</strong> <strong>Islamische</strong> <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> <strong>als</strong> <strong>Gegenstand</strong> <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Bildung und<br />

<strong>als</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung für den sozialwissenschaftlichen Unterricht<br />

und Gesellschaftsmodell zu universalisieren, die europäische Geschichte zu gesellschaftlichen und politischstrukturellen<br />

Lösungen geführt hat, die sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> eigenen Geschichte <strong>als</strong> mehr o<strong>der</strong> weniger situationsadäquat,<br />

wenn nicht zwangsläufig, erwiesen haben, die aber ke<strong>in</strong>eswegs die e<strong>in</strong>zigen s<strong>in</strong>nvollen Regelungen <strong>der</strong> Probleme<br />

von Herrschaft und Legitimität darstellen. Der Vergleich unterschiedlicher Beispiele des nation build<strong>in</strong>g macht auch<br />

die Ambivalenz des Ethnien- und Volksbegriffes deutlich und zeigt, dass e<strong>in</strong> nicht-ethnischer Nationenbegriff<br />

durchaus verbreitet ist. Das west-mitteleuropäische Konstrukt <strong>der</strong> völkischen Abstammungsgeme<strong>in</strong>schaft, das bis<br />

heute dem Staatsbürgerschaftsrecht <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland zu Grunde liegt, wird damit zu e<strong>in</strong>er<br />

ideologischen Son<strong>der</strong>form <strong>der</strong> nationalen Integration <strong>in</strong> <strong>der</strong> europäischen Neuzeit. 177<br />

Das Konstrukt <strong>der</strong> Ethnizität <strong>der</strong> Herrschaftslegitimierung und <strong>der</strong> gesellschaftlichen Integration hat se<strong>in</strong>e<br />

Wurzeln <strong>in</strong> dem Strukturwandel <strong>der</strong> Herrschaft <strong>in</strong> <strong>der</strong> europäischen Neuzeit. Im Übergang von feudalen<br />

Herrschaftsformen zur mo<strong>der</strong>nen Staatsgesellschaft wird persönliche Herrschaft von abstrakter, <strong>in</strong>stitutioneller<br />

Herrschaft zurückgedrängt, die größere, strukturiertere Herrschaftsverbände kontrollieren kann. Herrschaft benötigt<br />

immer weniger unmittelbare körperliche Gewalt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Herrschaftsausübung. Sie wird ersetzt durch potentielle<br />

<strong>in</strong>stitutionelle und strukturelle Gewalt und zeigt sich <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>in</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>übung von Selbstzwängen im<br />

machtgesteuerten Zivilisationsprozess. <strong>Die</strong>s ist die Voraussetzung <strong>der</strong> effektiven Durchsetzung des Gewaltmonopols<br />

<strong>der</strong> Herrschaft. In unseren Untersuchungen wurde aber schon deutlich, dass <strong>in</strong> den »Staaten« <strong>der</strong> Semiperipherien<br />

gerade diese Durchsetzung e<strong>in</strong>es Gewaltmonopols noch nicht h<strong>in</strong>reichend gelungen ist und gesellschaftlicher<br />

Regelungsbedarf noch von dezentralen Klientelgruppen ausgeübt wird. Hier kann auch <strong>der</strong> Gedanke angeschlossen<br />

werden, dass die Bedeutung des Konzeptes <strong>der</strong> Ethnizität im Staatenbildungsprozess gerade dar<strong>in</strong> liegt, traditionelle<br />

Solidarverbände und »Überlebense<strong>in</strong>heiten« durch homogenisierte Großgruppen <strong>als</strong> Träger <strong>der</strong> staatlichen Gewalt<br />

abzulösen.<br />

<strong>Die</strong>ser Prozess muss durch tief greifende E<strong>in</strong>schnitte <strong>in</strong> das Selbstverständnis <strong>der</strong> Menschen und die Wert- und<br />

Verhaltenspotentiale <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Kultur unterfüttert werden. „<strong>Die</strong> funktionale Differenzierung von Herrschafts<strong>in</strong>stitutionen<br />

erfor<strong>der</strong>t auch grundsätzlich e<strong>in</strong>e kulturelle Entdifferenzierung, um die Chancen <strong>der</strong> Durchsetzung von<br />

Gegenmacht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em auf Selbstzwängen fußenden Machtprozess zu verr<strong>in</strong>gern. Das geschieht durch Homogenisierungsprozesse,<br />

Sprachpolitik 178<br />

und Durchsetzung <strong>der</strong> höfischen Verhaltensnormen. <strong>Die</strong> Homogenisierung<br />

entspricht zunächst durchaus auch den Interessen des Fernhandels an e<strong>in</strong>heitlichen, sicheren, überregional gleichen<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen und herrschaftlichem Schutz. Aus dieser Interessenkongruenz, die zunächst die Privilegierung<br />

auch im Interesse <strong>der</strong> Herrschaft ersche<strong>in</strong>en lässt (Händler und entstehende Handels<strong>in</strong>frastruktur <strong>als</strong> »Agenturen <strong>der</strong><br />

Homogenisierung und Zentralisierung«), entwickelt sich aber <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em nächsten Schritt des Staatenbildungsprozesses<br />

e<strong>in</strong>e nachhaltige Verschiebung <strong>der</strong> Machtbalancen zu den entstehenden und zunehmend mit eigenem<br />

Selbstbewusstse<strong>in</strong> auftretenden »bürgerlichen Schichten«. Das hat wesentliche Konsequenzen:<br />

- Städtische Privilegien (Stadtrechte, die zunächst durchaus noch im Weltbild des feudalen Lehenswesens<br />

konzeptualisiert s<strong>in</strong>d 179 ) werden zur Keimzelle von Machtpartizipation und Demokratievorstellungen. 180 <br />

- Das händlerisch-bürgerliche Realitätsverständnis (Planbarkeit und Zukunftsorientiertheit des Handelns <strong>in</strong><br />

Raum und Zeit; Spekulation und Kalkulation; Berechenbarkeit <strong>der</strong> Warenwelt) erfor<strong>der</strong>t die Rationalisierung<br />

und Verrechtlichung <strong>der</strong> Herrschaftsstrukturen, letztlich damit den Verfassungsstaat, den<br />

funktionalen Republikanismus und das Völkerrecht.<br />

- Der Zivilisationsschub <strong>in</strong> den verän<strong>der</strong>ten Figurationen von Herrscher und Beherrschtem, Staat und<br />

Staatsbürger, was <strong>als</strong> gerichteter historischer Prozess zu verstehen ist, drängt phantasieorientierte, undistanzierte<br />

und religiöse Realitätskonzepte zurück und leitet e<strong>in</strong>e umfassende gesellschaftliche Säkulari-<br />

177<br />

Der französische Nationalismus ist z.B. überwiegend über die Idee <strong>der</strong> Staatsloyalität <strong>in</strong> <strong>der</strong> Konsequenz e<strong>in</strong>er höfischen<br />

Herrschafts<strong>in</strong>tegration entwickelt worden [Elias 1990 15 : 50 passim u.a., Rokkan 2000: 189 passim]. Mangels dieser historischen<br />

Kont<strong>in</strong>uitäten tendieren jedoch die Län<strong>der</strong> <strong>der</strong> heutigen Semiperipherien zur Übernahme e<strong>in</strong>es ethnizistischen Nationenbegriffs.<br />

– <strong>Die</strong> folgenden Ausführungen fußen noch e<strong>in</strong>mal auf <strong>der</strong> parallel zu dieser Untersuchung publizierten Arbeit<br />

des Verfassers zur Thematik <strong>der</strong> »Staatsgesellschaft«, die noch e<strong>in</strong>mal im gegebenen thematisch Kontext zu zitieren<br />

ist. [Voigt 2002].<br />

178<br />

Vgl. »Das Recht auf die geme<strong>in</strong>e Sprache« und »<strong>Die</strong> warenhafte Muttersprache« <strong>in</strong> Illich, 1982:11-29, 30-48. Für die<br />

179<br />

102<br />

Türkei vgl. Voigt 1994 und 1996a.<br />

Vgl. »Vom Markte zu Lübecks« 1152, <strong>in</strong> Helmold von Bosau, Slawenchronik, cap. 76; o<strong>der</strong> »Lübeck wird reichsunmittelbar«,<br />

1226, Urkundenbuch <strong>der</strong> Stadt Lübeck (1856) I, Nr. 35, S. 45.<br />

180<br />

<strong>Die</strong>s unterscheidet auch das mittelalterliche Stadtwesen <strong>in</strong> Mitteleuropa von den, äußerlich viel weiter entwickelten Städten<br />

im Nahen Osten, die e<strong>in</strong>e solche gesellschaftlich hervorgehobene Rolle im Herrschaftsverband nie gespielt haben, was<br />

natürlich auch damit zusammenhängt, dass diese Region <strong>in</strong>sgesamt <strong>als</strong> Handelsraum im Mittelalter viel weiter fortgeschritten<br />

und <strong>in</strong>tegriert gewesen ist. Als Machtgegensatz tritt im Nahen Osten an die Stelle <strong>der</strong> mitteleuropäischen Stadt-Land-<br />

Disparitäten <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>spruch zwischen sesshafter Bevölkerung und Bedu<strong>in</strong>entum, <strong>der</strong> schon von Ibn Khaldun <strong>als</strong> Charakteristikum<br />

für die Entwicklungsperioden <strong>der</strong> arabischen Geschichte bezeichnet worden ist. <strong>Die</strong> daraus resultierenden Unterschiede<br />

S<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Soziogenese und Staatenbildung zwischen Nahem Osten und Mitteleuropa s<strong>in</strong>d gravierend, können<br />

aber hier nicht e<strong>in</strong>gehen<strong>der</strong> dargestellt werden. Vgl. Abschnitt 1.1.2.

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