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Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

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4. Diskurse <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Bildung im Kontext <strong>der</strong> Ereignisse <strong>in</strong> <strong>Iran</strong><br />

dass aus ihm mit e<strong>in</strong>er gesellschaftlich nachvollziehbaren Schlüssigkeit und Folgerichtigkeit egalitäre Utopien für<br />

die Gesellschaft abzuleiten wären. <strong>Die</strong>se »Selbstverständlichkeit« wurde auch <strong>in</strong> dem mehrfach herangezogenen<br />

nie<strong>der</strong>sächsischen Soziologiekurs vom Ende <strong>der</strong> siebziger Jahre (Wolf/Voigt 1977) für die Rezeption und Aufnahme<br />

des Themas durch die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler erwartet:<br />

„Der Schüler nimmt das Thema »Soziale Ungleichheit« vorwiegend unter dem Aspekt <strong>der</strong> »Ungerechtigkeit<br />

wahr. Für ihn ist Ungleichheit zum e<strong>in</strong>en unmittelbare o<strong>der</strong> vermittelte Erfahrung und zum an<strong>der</strong>en Prüfste<strong>in</strong><br />

ethischer und normativer Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen und oftm<strong>als</strong> unmittelbarer Anstoß für politisches Engagement“<br />

(Wolf/Voigt 1977: 13).<br />

<strong>Die</strong>se Erwartung wurde enttäuscht und zwar im Laufe <strong>der</strong> gesellschaftlichen Verän<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong> den folgenden Jahrzehnten<br />

immer deutlicher. <strong>Die</strong> angenommene kontextuelle Verb<strong>in</strong>dung zwischen Gerechtigkeitspostulat und<br />

egalitären Gesellschaftsbil<strong>der</strong>n löste sich, wenn sie überhaupt je <strong>in</strong> dem angenommenen Maße existiert hatte und<br />

nicht nur e<strong>in</strong> Konstrukt <strong>der</strong> Sozialphilosophie gewesen war. Für den von <strong>der</strong> Soziologie her denkenden Politikdidaktiker<br />

gilt zwar weiterh<strong>in</strong> die Grundüberzeugung:<br />

„<strong>Die</strong> Bedeutung des Themas »Soziale Ungleichheit« braucht <strong>als</strong>o nicht eigens nachgewiesen werden. Den<br />

Heranwachsenden s<strong>in</strong>d die entsprechenden gesellschaftlichen Sachverhalte wenigstens umrisshaft bekannt, so<br />

dass es ke<strong>in</strong>er beson<strong>der</strong>en pädagogischen List bedarf, sie auf das Thema h<strong>in</strong>zulenken“ (Wolf/Voigt 1977: 14.<br />

Hervorhebung G.V.).<br />

Doch gilt heute mehr <strong>als</strong> zuvor auch, dass das Verständnis für die Prämissen e<strong>in</strong>er sachgerechten Wahrnehmung des<br />

»Schlüsselproblems Soziale Ungleichheit« und vor allem die implizierten Wertbezüge zum Grundwert Gerechtigkeit<br />

und den damit verbundenen egalitären gesellschaftlichen Zukunftsvorstellungen bei den heutigen Schüler<strong>in</strong>nen und<br />

Schülern ebenso wenig wie <strong>in</strong> <strong>der</strong> heute maßgeblichen Öffentlichkeit vorausgesetzt werden können. Wenn e<strong>in</strong>e an<br />

dem Problem <strong>der</strong> Soziale Ungleichheit geschulter gesellschaftlicher Diskurs <strong>in</strong> den siebziger Jahren ausgehend von<br />

e<strong>in</strong>er aktiven, aber kle<strong>in</strong>en sich <strong>als</strong> »fortschrittlich« def<strong>in</strong>ierenden <strong>in</strong>tellektuellen Elite auch zeitweilig <strong>als</strong> »herrschen<strong>der</strong><br />

Diskurs« wahrgenommen werden konnte, setzte sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> folgenden Zeit e<strong>in</strong> wohl schon immer breiterer<br />

nur zeitweilig weniger explizierter Diskurs auf <strong>der</strong> Basis traditioneller funktionalistischer Gesellschaftsvorstellungen<br />

durch, <strong>der</strong> sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er »Umbesetzung« des Begriffes <strong>als</strong> »Wertewandel« verstand.<br />

In <strong>der</strong> Gesellschaft setzte sich immer stärker e<strong>in</strong>e Dom<strong>in</strong>anz wirtschaftsstruktureller Rationalität gegenüber<br />

e<strong>in</strong>er gesellschaftsstrukturellen Wertorientierung durch. <strong>Die</strong>ser Prozess hält an; er hat gegenwärtig an Dynamik<br />

zugenommen. <strong>Die</strong>s ist parallel zu sehen mit dem <strong>in</strong> den Vor<strong>der</strong>grund drängenden Doppelprozess <strong>der</strong> ökonomischen<br />

Globalisierung und des Vordr<strong>in</strong>gens <strong>der</strong> <strong>in</strong>nergesellschaftlichen zivilisatorischen Individualisierungsprozesse. Hier<br />

wird deutlich, dass tatsächlich e<strong>in</strong>e Ablösung herrschen<strong>der</strong> Diskurse stattgefunden hat. Der Diskurs über<br />

»Gesellschaft, Macht und Soziale Ungleichheit« wird <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit immer deutlicher vom Diskurs über<br />

»Globalisierung, Universalisierung und Individualisierung« verdrängt. <strong>Die</strong>s hat wesentliche Folgen bis h<strong>in</strong> <strong>in</strong> die<br />

S<strong>in</strong>ngebung <strong>der</strong> eigenen Biographie und <strong>der</strong> Wirksamkeit wertbestimmter Handlungsoptionen <strong>in</strong> <strong>der</strong> politischen<br />

Öffentlichkeit.<br />

Soziale Ungleichheit kann nicht mehr nur im nation<strong>als</strong>taatlichen Bezugsrahmen verstanden werden, son<strong>der</strong>n<br />

ist verstärkt <strong>in</strong> <strong>in</strong>ternationale und globale Interdependenzen e<strong>in</strong>zubeziehen und auch <strong>als</strong> fachwissenschaftliches<br />

Problem aus dem Bezugsrahmen <strong>der</strong> Staatsgesellschaft herauszulösen. <strong>Die</strong> Brennpunkte, an denen sich heute die<br />

Frage nach den Sozialen Ungleichheiten und Disparitäten mit deutlichen Bezügen zu wi<strong>der</strong>sprüchlichen Wertoptionen<br />

neu entzündet, s<strong>in</strong>d vor allem <strong>in</strong> den sich extrem konfliktreich und rapide verän<strong>der</strong>nden Gesellschaften <strong>der</strong><br />

Semiperipherien und <strong>der</strong> so genannten Transformationslän<strong>der</strong> Ost- und Südosteuropas zu f<strong>in</strong>den und auch <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

didaktischen Umsetzung gerade aus dieser Perspektive neu zu bewerten. In diesem S<strong>in</strong>ne ist die <strong>Islamische</strong><br />

<strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> e<strong>in</strong> Problem, das <strong>in</strong> wesentlichen Aspekten im Diskurs über Gesellschaft, Macht und Soziale<br />

Ungleichheit erklärt und verstanden werden kann.<br />

Dass diese ambivalenten Stagnations- und Mo<strong>der</strong>nisierungsprozesse <strong>in</strong> ihren zunächst schwer verständlichen<br />

Ersche<strong>in</strong>ungs- und politischen Handlungsformen e<strong>in</strong>mal stark wert- und moralbestimmte Reaktionen gerade auch <strong>in</strong><br />

den europäischen Län<strong>der</strong>n und <strong>in</strong> den USA hervorrufen, ist wesentliche Erkenntnis unserer Untersuchung <strong>der</strong><br />

Rezeption <strong>der</strong> <strong>Islamische</strong>n <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> <strong>in</strong> den deutschen Medien. Dass zum an<strong>der</strong>en die »revolutionäre<br />

Entwicklung« <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> o<strong>der</strong> auch die äußerlich nahezu kontroverse »forcierte Mo<strong>der</strong>nisierung« <strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkischen<br />

Republik <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge des kemalistischen Staatskonzeptes <strong>in</strong> den jeweiligen Gesellschaften vor allem <strong>als</strong> wert- und<br />

moralbestimmt wahrgenommen wurden und werden, dass <strong>als</strong>o die Mo<strong>der</strong>nisierungs-Diskurse <strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkei und <strong>in</strong><br />

<strong>Iran</strong> <strong>in</strong> all ihrer Kontroversität vor allem ethische Wertungsmaßstäbe anlegen, for<strong>der</strong>t aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> europäischen,<br />

sozio-ökonomisch und funktionalistisch-strukturell bestimmten Mo<strong>der</strong>nisierungskonzeption Unverständnis,<br />

Abwehr und zum Teil auch Aggression heraus. Gerade dies aber ermöglicht es, die notwendige Komplexität<br />

e<strong>in</strong>es Diskurses über Gesellschaft, Macht und Soziale Ungleichheit auch im Politikunterricht wie<strong>der</strong> herzustellen, <strong>in</strong><br />

dem die strukturelle und die ethische Wertungsoption wie<strong>der</strong> diskursfähig zu machen s<strong>in</strong>d.<br />

Hier muss sich die soziologische und politikdidaktische Perspektive <strong>in</strong> ihren Diskursbeiträgen durchaus im<br />

S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Wi<strong>der</strong>ständigkeit gegenüber vere<strong>in</strong>seitigenden Trends <strong>in</strong> <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Kultur<br />

ausgestalten:<br />

„So hat das Thema von vornhere<strong>in</strong> für den Schüler e<strong>in</strong>e Doppelbedeutung: Fragestellung für fachliche<br />

Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen und Auffor<strong>der</strong>ung zur effektiven H<strong>in</strong>wendung, bis h<strong>in</strong> zur politischen Handlung.“<br />

(Wolf / Voigt 1977: 13-14.)<br />

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