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Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

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1. <strong>Die</strong> „<strong>Islamische</strong>n <strong>Revolution</strong>“ <strong>in</strong> politischen und didaktischen<br />

Kontexten: E<strong>in</strong> Problemüberblick<br />

aber e<strong>in</strong>e wissenschaftlich <strong>als</strong> Son<strong>der</strong>fall zu klassifizierende temporäre Retardierung <strong>der</strong> grundlegenden Prozesse<br />

darstellt. <strong>Die</strong>se Retardierungen im sozialen Bereich s<strong>in</strong>d dann, Elias folgend, <strong>als</strong> gesellschaftliche Figurationen zu<br />

verstehen, die auf ausgewogenen Machtbalancen beruhen, wobei diese Balance letztlich immer labil und temporär<br />

ist und auf den Anstoß zur Verän<strong>der</strong>ung wartet.<br />

E<strong>in</strong> solches auch philosophisch begründetes dynamisches Realitätskonzept <strong>der</strong> sozialen Beschreibung<br />

wi<strong>der</strong>spricht jedoch grundlegend den Ordnungs- und Sicherheitsbedürfnissen <strong>der</strong> Menschen, vor allem jedoch<br />

se<strong>in</strong>en Bedürfnissen nach Selbstsicherheit, Selbstverständlichkeit, <strong>in</strong>sgesamt nach »Identität«. Das Identitätskonzept<br />

erhält hier se<strong>in</strong>e affektive Basis, ist <strong>als</strong> wissenschaftliches Konstrukt jedoch grundsätzlich zu problematisieren, wenn<br />

wir uns konkret mit den biographischen Entwicklungen von Menschen und den sozialen Verän<strong>der</strong>ungen bei<br />

Gruppen kritisch ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzen, um daraus auch didaktische Prämissen ableiten zu können.<br />

Es ist daher theoriegeschichtlich <strong>in</strong>teressant, dass schon weit früher e<strong>in</strong> für die grundsätzlichen Erkenntnisund<br />

Theorieprobleme sensibilisierter Sozialwissenschaftler, He<strong>in</strong>rich Popitz, das eben dargestellte Grundproblem<br />

noch vor <strong>der</strong> deutschen Rezeption <strong>der</strong> Werke Elias’ überzeugend distanziert und unideologisch formuliert hat:<br />

„Es ist möglich – wir wissen es aus Erfahrungen –, dass die [Beherrschten], die diese unangenehmsten<br />

Arbeiten verrichten und im Zweifelsfall die Schuldigen s<strong>in</strong>d, nach e<strong>in</strong>iger Zeit eben diese Ordnung, diese<br />

Verteilung <strong>der</strong> Rechte und Pflichten <strong>als</strong> verb<strong>in</strong>dliche Verfassung des Zusammenlebens akzeptieren; dass sie<br />

sich nicht nur fügen, son<strong>der</strong>n dienen; dass sie die Normen dieser Ordnung nicht nur fürchten, son<strong>der</strong>n<br />

ver<strong>in</strong>nerlichen; dass sie nicht nur <strong>in</strong> dumpfer Gewohnheit, son<strong>der</strong>n <strong>in</strong> Bereitschaft und Gefolgschaft<br />

pflichtgemäß das Ihre tun... Möglich, ja sogar plausibel ersche<strong>in</strong>t uns das Resultat, weil wir dieses Resultat<br />

kennen. Der Vorgang selbst aber ist deshalb noch nicht e<strong>in</strong>leuchtend, er ist wie<strong>der</strong>um [...] absurd.“ 94<br />

Es ist durchaus s<strong>in</strong>nvoll, gesellschaftliche Stabilität, die nur vorstellbar ist im Rahmen von Macht- und<br />

Herrschaftsordnungen – untersucht man konkret die realen Lebenschancen und Bedürfnisse <strong>der</strong> Menschen und legt<br />

man allgeme<strong>in</strong> geteilte Wertvorstellungen von Gerechtigkeit und Chancengleichheit, vom Recht auf das gute Leben<br />

an – <strong>als</strong> absurd zu bezeichnen! Ähnliche E<strong>in</strong>sichten werden auch <strong>in</strong> den USA dort entwickelt, wo Soziologie über<br />

ihre fachlichen Begrenzungen h<strong>in</strong>aus <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är betrieben wird wie <strong>in</strong> <strong>der</strong> fasz<strong>in</strong>ierenden Studie teilnehmen<strong>der</strong><br />

Beobachtung des Sozialanthropologien Elliot Liebow bei den ›sozial Ausgeschlossenen‹ an »Tally’s Corner«, wo<br />

Stabilität nur noch <strong>als</strong> Bestätigung des Versagens <strong>in</strong> Prozessen <strong>der</strong> self-fulfill<strong>in</strong>g prophecy entstehen kann,<br />

Unsicherheit und mangelnde Zukunftsperspektive zentrale Lebenserfahrung nicht nur e<strong>in</strong>er Generation, son<strong>der</strong>n<br />

ganzer Familien geworden s<strong>in</strong>d. 95<br />

Es sei schon hier e<strong>in</strong> H<strong>in</strong>weis auf didaktische Umsetzungsmöglichkeiten erlaubt. Mit <strong>der</strong> Arbeit an den beiden<br />

Texten von Popitz und Liebow – wobei durchaus lange Textpassagen dieser auch für Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler gut<br />

lesbaren Schriften gelesen und bearbeitet werden sollten: die übliche »Häppchenmethodik« erlaubt schließlich nicht,<br />

s<strong>in</strong>nvoll kontextuell und vertiefend zu arbeiten son<strong>der</strong>n tendiert zu kognitiv betontem, nicht im Zusammenhang<br />

verstandenen E<strong>in</strong>zelwissen, das wie<strong>der</strong>um gesellschaftliche E<strong>in</strong>sichten eher erschwert <strong>als</strong> begründet – lässt sich e<strong>in</strong><br />

Gesellschaftslehre- bzw. Politikunterricht begründen, <strong>der</strong> zum Thema »Soziale Ungleichheit« 96 nicht nur affirmative<br />

und strukturalistische Erklärungskonzepte vermittelt, wie sie <strong>als</strong> funktionalistische Gesellschaftsbil<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Öffentlichkeit wie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Politik noch weit verbreitet und unh<strong>in</strong>terfragt geblieben s<strong>in</strong>d 97 , son<strong>der</strong>n die gesellschaftlichen<br />

Machtprozesse und die Entstehung, Festigung und Legitimierung 98 von Herrschaft zur Erklärung <strong>der</strong> Sozialen<br />

Ungleichheit thematisiert und – durchaus auch politisch und ethisch – problematisiert. 99<br />

94<br />

H. Popitz: Prozesse <strong>der</strong> Machtbildung, <strong>in</strong>: Recht und Staat <strong>in</strong> Geschichte und Gegenwart. 362/363. Tüb<strong>in</strong>gen 1968: 5 – 42.<br />

– Auszüge abgedruckt auch <strong>in</strong>: Ste<strong>in</strong>ert, ed., Symbolische Interaktion. Arbeiten zu e<strong>in</strong>er reflexiven Soziologie. 1973, Stuttgart:<br />

139-150<br />

95<br />

Elliot Liebow: Tally’s Corner. Boston: 1967. Auszug unter dem Titel: Über die schlechte Arbeitsmoral und die mangelnde<br />

Zukunftsperspektive <strong>der</strong> sozial Ausgeschlossenen, übersetzt von Herbert Leirer, auch abgedruckt <strong>in</strong>: He<strong>in</strong>z Ste<strong>in</strong>ert, Hrsg.:<br />

Symbolische Interaktion. Arbeiten zu e<strong>in</strong>er reflexiven Soziologie. Stuttgart 1973:.213-225<br />

96<br />

Dass das Thema »Soziale Ungleichheit« heute <strong>als</strong> »Schlüsselproblem« nach Klafki E<strong>in</strong>gang <strong>in</strong> den Pflichtstoff nicht nur<br />

des Politikunterrichts, son<strong>der</strong>n <strong>als</strong> didaktische Grundlegung letztlich des gesamten Schulunterrichtes akzeptiert und <strong>in</strong> neuen<br />

Rahmenrichtl<strong>in</strong>ien z.B. <strong>in</strong> Nie<strong>der</strong>sachsen umgesetzt worden ist, ersche<strong>in</strong>t <strong>als</strong> e<strong>in</strong> großer Fortschritt, da dieses Thema<br />

noch <strong>in</strong> den beg<strong>in</strong>nenden achtziger Jahren <strong>als</strong> nicht schülergerecht und politisch <strong>in</strong>opportun von den meisten Kultusm<strong>in</strong>istern<br />

abgelehnt worden ist.<br />

97<br />

Schon das »klassische« eigentlich für den Unterricht und die Politische Bildung konzipierte Grundlagenwerk zum Thema<br />

»Soziale Ungleichheit« von Karl Mart<strong>in</strong> Bolte: Soziale Ungleichheit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland. In: K.M. Bolte,<br />

D. Kappe, F. Neidhardt, Soziale Ungleichheit. Struktur und Wandel <strong>der</strong> Gesellschaft. Reihe B <strong>der</strong> Beiträge zur Sozialkunde,<br />

Band 4. Opladen 1974 3: : 20-22 und 114-117], das aber wegen <strong>der</strong> genannten Vorbehalten <strong>in</strong> den Schulen kaum aufgenommen<br />

o<strong>der</strong> <strong>als</strong> Schulbuch genehmigt wurde, hat das Notwendige zur grundsätzlichen Kritik und zur wissenschaftlichen<br />

Mangelhaftigkeit funktionalistischer Erklärungskonzepte ausgesagt, so dass diese Kritik hier nicht im E<strong>in</strong>zelnen wie<strong>der</strong>gegeben<br />

zu werden braucht.<br />

98<br />

Vgl. Kapitel 1.2<br />

99<br />

Jürgen Wolf und Gerhard Voigt haben dieses Konzept schon 1977 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Kursentwurf »Soziale Ungleichheit« für die<br />

Sekundarstufen II-Reform <strong>in</strong> Nie<strong>der</strong>sachsen im Auftrage des Kultusm<strong>in</strong>isteriums entwickelt, <strong>der</strong> nach Verän<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong><br />

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