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Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

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4. Diskurse <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Bildung im Kontext <strong>der</strong> Ereignisse <strong>in</strong> <strong>Iran</strong><br />

mo<strong>der</strong>ne Wohnviertel das fast standardisierte Stadtbild bestimmen und auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zigen Straßenbahnl<strong>in</strong>ie<br />

Standardwagen des DÜWAG-Ürd<strong>in</strong>gen-Gelenkwagentyps aus dem Ruhrgebiet fahren. Das typische, historisch<br />

gewachsene Stadtbild wurde reduziert auf die Erhaltung, Restauration und museale Herausstellung isolierter<br />

»Baudenkmäler« von signifikantem historischem und architektonischem Wert – im Kontext des UNESCO-<br />

Programms zur Erhaltung des Weltkulturerbes. So wird e<strong>in</strong>e stadtgeschichtliche Identität – vielleicht zwangsläufig<br />

und unvermeidlich – museal bewahrt, <strong>als</strong> Fiktion am Leben gehalten und damit re-mythisiert: e<strong>in</strong>e typische Folge<br />

<strong>der</strong> Globalisierungs- und Universalisierungsprozesse, mit denen wir uns hier ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzen.<br />

Wie reagieren nun Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler konkret auf den Kontakt mit dieser neuen Türkei? Während<br />

früher sehr deutlich die E<strong>in</strong>ordnung des Erlebens <strong>als</strong> »exotische Ausnahmesituationen« zu beobachten waren,<br />

ersche<strong>in</strong>t heute die türkische öffentliche Umwelt <strong>als</strong> mit den gewohnten Kategorien erfassbar und vergleichbar. E<strong>in</strong><br />

Leben <strong>in</strong> Konya ersche<strong>in</strong>t so durchaus nicht <strong>als</strong> undenkbar; e<strong>in</strong> »Kulturschock«, früher zentrales Motiv didaktischer<br />

Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit dem Phänomen des »Exotismus«, ist zum<strong>in</strong>dest im Bereich des öffentlichen Lebens nicht<br />

mehr zu erwarten. Das mag <strong>in</strong> Familien, im ländlichen Raum noch an<strong>der</strong>s se<strong>in</strong>; hier dr<strong>in</strong>gen die Universalisierungsprozesse<br />

mit zeitlicher Verzögerung vor.<br />

Dennoch ist bezeichnend, dass das »Fremde« heute bei <strong>der</strong> Generation unserer Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler<br />

kaum noch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Realität jenseits <strong>der</strong> deutschen Grenzen gesucht wird; dazu ist auch die eigene gesellschaftliche<br />

Identität und Selbstverständlichkeit eben durch die gleichen Prozesse <strong>der</strong> Globalisierung und Universalisierung zu<br />

fragwürdig und fraktioniert-ausdifferenziert geworden: das »Fremde« ist Teil des »Eigenen«, die »Fremde« ist <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em Prozess <strong>der</strong> »Aneignung« o<strong>der</strong> auch »E<strong>in</strong>beziehung« begriffen.<br />

<strong>Die</strong> wirklichen psychischen Konfrontationen mit dem »Fremden«, die für die Identitätsentwicklung notwendigen<br />

Grenzerfahrungen werden nun nicht mehr <strong>in</strong> <strong>der</strong> Realität, son<strong>der</strong>n im Bereich <strong>der</strong> Fiktionen, <strong>der</strong> Medien, <strong>der</strong><br />

virtuellen Realitäten gesucht und gefunden. Auch das ist e<strong>in</strong>e Folge <strong>der</strong> Universalisierung <strong>der</strong> Medien und <strong>der</strong><br />

Realitätsvermittlung, geht aber <strong>als</strong> Problemkomplex über die Kontexte h<strong>in</strong>aus, <strong>in</strong> denen diese Überlegungen sich<br />

bewegen. Für die Schule bedeutet das e<strong>in</strong>en grundlegenden Bedeutungswandel, <strong>der</strong> für uns Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer<br />

mit tief greifenden Irritationen und Selbstzweifeln verbunden ist: <strong>Die</strong> soziale und politische Wirklichkeit, die wir zu<br />

vermitteln haben, verliert an pädagogischem Wert und wird ersetzt durch fiktionale Welten, <strong>der</strong>en H<strong>in</strong>tergründe und<br />

Strukturen nicht von den Grundbestimmungen <strong>der</strong> Rationalität und Kommunikations- und Diskursfähigkeit geprägt,<br />

son<strong>der</strong>n fiktionaler Willkür und Beliebigkeit unterworfen s<strong>in</strong>d. Unsere Aufgabe muss es se<strong>in</strong>, auch die nächste<br />

Generation wie<strong>der</strong> an die gesellschaftliche Realität heranzuführen, auf Rationalitätsfähigkeit zu <strong>in</strong>sistieren und reale<br />

Diskursfähigkeiten aufzubauen – sie <strong>als</strong>o zu befähigen, Realitäten <strong>in</strong> ihrem „wirklichen“ Kontext, d.h. real zu<br />

än<strong>der</strong>n, Probleme zu lösen.<br />

Das Konzept <strong>der</strong> Dichotomie des »Fremden« und des »Eigenen« war zentrales topos gesellschaftlich-historischen<br />

Denkens sowohl e<strong>in</strong>er kritischen Soziologie und sozialwissenschaftlichen Didaktik seit den siebziger Jahren<br />

<strong>als</strong> auch e<strong>in</strong>er emanzipativen Ethnologie. Für die didaktische Inwertsetzung waren Schlüsselautoren e<strong>in</strong>erseits <strong>der</strong><br />

aus <strong>der</strong> kritischen antikolonialistischen Ethnologie kommende Michel Leiris, dessen Buchtitel <strong>der</strong> Passus »Das<br />

Eigene und das Fremde« entliehen wurde, und, bis heute <strong>in</strong> <strong>der</strong> Quellenkritik maßstabsetzend, Edward Said, dessen<br />

Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit dem europäischen Orientalismus, so auch <strong>der</strong> Titel se<strong>in</strong>es hier herangezogenen Werkes,<br />

grundlegende E<strong>in</strong>sichten über den Zusammenhang von Realitätsdef<strong>in</strong>ition, Ideologie und Realitätsentwicklung<br />

liefert.<br />

In <strong>der</strong> deutschen Didaktik <strong>der</strong> Schulgeographie prallten die kontroversen Auffassungen über den »Exotismus«<br />

<strong>als</strong> didaktischem Pr<strong>in</strong>zip <strong>in</strong> aller Härte aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong>. <strong>Die</strong> Motivation für die län<strong>der</strong>kundliche Beschäftigung mit<br />

»fremden Kont<strong>in</strong>enten« o<strong>der</strong> den »Entwicklungslän<strong>der</strong>n« wurde traditionell <strong>in</strong> <strong>der</strong> »Neugier auf das Fremde«, und<br />

das me<strong>in</strong>e konkret: das Exotische, gesucht. Noch Anfang <strong>der</strong> achtziger Jahre konnte <strong>der</strong> Verfasser <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er empirischen<br />

Studie bei Geographielehrern e<strong>in</strong> mehrheitliches Festhalten an exotistischen Weltbil<strong>der</strong>n konstatieren, <strong>der</strong>en<br />

Abhängigkeit von älteren eurozentrischen und kolonialistischen Ordnungsmustern nur zu offensichtlich war, die<br />

aber schon dam<strong>als</strong> <strong>als</strong> ungeeignet zur didaktischen Grundlegung für das Thema »Dritte Welt« zurückgewiesen<br />

werden mussten. Klassisch wurden die kritischen Untersuchungen <strong>der</strong> achtziger Jahre von Filipp, Schramke und<br />

Schmidt-Wulffen. Doch muss heute auch diesem kritischen Ansatz e<strong>in</strong>e zu ger<strong>in</strong>gen Reichweite zugeschrieben<br />

werden angesichts <strong>der</strong> gesellschaftlichen Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Realitätswahrnehmung und -def<strong>in</strong>ition <strong>als</strong> didaktischer<br />

Problemlage <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge <strong>der</strong> dargestellten Universalisierungsprozesse.<br />

Heute ist we<strong>der</strong> die Türkei noch die »Dritte Welt« exotisch. Exotik wird <strong>in</strong> virtuellen Welten gesucht und<br />

gefunden und begründet stereotype und realitätsferne Weltbil<strong>der</strong> (Jugendsekten, UFO-Glauben, Sicence-Fiction-<br />

Ideologien): die Realität entschw<strong>in</strong>det (Postman). Wie werden diese neuen »Zombi-Existenzen« mit realen Lebenskrisen<br />

fertig werden? S<strong>in</strong>d die großen Weltreligionen schon <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage, mit diesen Herausfor<strong>der</strong>ungen fertig zu<br />

werden und die Jugendlichen jenseits von Aberglaube und Stereotypie anzusprechen?<br />

<strong>Die</strong>se Überlegungen sollen mit Blick auf die verän<strong>der</strong>ten Aufgaben <strong>der</strong> Schule und <strong>der</strong> Didaktik <strong>der</strong><br />

Sozialwissenschaften verdeutlichen, wie reale Globalisierung und Universalisierung von Wahrnehmungsmustern<br />

e<strong>in</strong>e neue globale Realität schafft, e<strong>in</strong>e schulische wie private Lebensumwelt für unsere Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler,<br />

die sich von <strong>der</strong> vor zwanzig Jahren <strong>in</strong> bezeichnen<strong>der</strong> Weise abhebt und doch noch ke<strong>in</strong>e h<strong>in</strong>reichenden Konsequenzen<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Pädagogik wie auch <strong>der</strong> Fachdidaktik gefunden hat.<br />

Wegen <strong>der</strong> zentralen Bedeutung dieses Prozesses, <strong>der</strong> für die verän<strong>der</strong>ten Aufgaben von Schule und Didaktik<br />

Schlüsselcharakter hat, habe ich diesem Zusammenhang von Realitätsverän<strong>der</strong>ung, Wahrnehmungswandel und<br />

Wandel <strong>der</strong> subjektiven Realitätsdef<strong>in</strong>itionen e<strong>in</strong>e zentrale Bedeutung für das Thema zugemessen. Eng mit diesem<br />

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