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Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

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<strong>Die</strong> <strong>Islamische</strong> <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> <strong>als</strong> <strong>Gegenstand</strong> <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Bildung und<br />

<strong>als</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung für den sozialwissenschaftlichen Unterricht<br />

Gerade dieses Spannungsfeld zwischen Handeln <strong>der</strong> Staaten, Aktivitäten <strong>der</strong> NGOs und <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en<br />

Rezeption <strong>der</strong> »Dritte-Welt-Thematik« <strong>in</strong> den Medien hat die Armuts-, Elends- und Katastrophenthematik <strong>in</strong> den<br />

Vor<strong>der</strong>grund öffentlicher Diskurse und auch <strong>in</strong> den schulischen und didaktischen Medien zur Dritte-Welt-Thematik<br />

treten lassen. <strong>Die</strong>s nimmt schon deutlich stereotype Züge an, <strong>in</strong>dem die notwendige prozessuale Differenzierung <strong>der</strong><br />

Wahrnehmung <strong>der</strong> Sozialen Ungleichheit, <strong>in</strong> die die Armutsthematik e<strong>in</strong>gebunden ist, verloren geht und e<strong>in</strong>e<br />

unpolitische und z.T. mit rassistisch-ethnizistischen Untertönen unterfütterte Unterlegenheitslegende – <strong>als</strong><br />

Konterpart <strong>der</strong> eurozentrischen Überlegenheitsvorstellungen – gegenüber den Bewohnern von Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Dritten<br />

Welt postuliert und von diesen teilweise sogar übernommen wird.<br />

Hier ist mit <strong>der</strong> <strong>Islamische</strong>n <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> nun e<strong>in</strong>e ganz deutliche Trennl<strong>in</strong>ie, e<strong>in</strong> Bruch <strong>in</strong> den<br />

europäischen »Dritte-Welt-Diskursen« festzustellen, <strong>in</strong>dem das Insistieren <strong>der</strong> <strong>Islamische</strong>n <strong>Revolution</strong> auf ihren<br />

eigenen autochthonen Wert und die eigene Geschichte die europäische Perspektive und Realitätsdef<strong>in</strong>ition grundsätzlich<br />

<strong>in</strong> Frage stellt und ausdrücklich bekämpfen will, <strong>in</strong>dem europäisch-amerikanische Überlegenheitsideologien<br />

nicht mehr akzeptiert son<strong>der</strong>n aggressiv zurückgewiesen werden. <strong>Die</strong>ser Schnitt <strong>in</strong> den Dritte-Welt-Diskursen ist<br />

Ansatz dessen, was wir, den politischen Sprachgebrauch modifizierend, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em späteren Kapitel <strong>als</strong> tatsächlichen<br />

Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>er neuen Weltordnung bezeichnen werden, nicht weil sich Machtverhältnisse grundlegend geän<strong>der</strong>t hätten<br />

– das war erst mit dem Ende des West-Ost-Konfliktes 1990 <strong>der</strong> Fall –, son<strong>der</strong>n weil sich mit <strong>der</strong> <strong>Islamische</strong>n<br />

<strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong>, zunächst kaum bemerkt, e<strong>in</strong> Paradigmenwandel <strong>in</strong> den globalen Perspektiven vor allem zunächst<br />

<strong>der</strong> europäischen Staaten e<strong>in</strong>leitete. <strong>Die</strong>ser Paradigmenwandel machte den Universalisierungs- und Globalisierungs-<br />

Diskurs überhaupt erst möglich, den wir im nächsten Kapitel (4.2.) ansprechen werden.<br />

Gleichzeitig ist dabei auffällig, dass die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit während und nach <strong>der</strong> <strong>Islamische</strong>n <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong><br />

beson<strong>der</strong>s umfangreiche und <strong>in</strong>tensive Aufmerksamkeit, die <strong>Iran</strong> <strong>in</strong> den Medien und den politischen Diskursen<br />

erfuhr, semantisch-strukturell schon auf diese Perspektivverschiebung h<strong>in</strong>wies. Es wäre zu vermuten gewesen, dass<br />

die Berichte aus <strong>Iran</strong> im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> traditionellen »Dritte-Welt-Perspektive« die Armutsthematik <strong>als</strong> Begründung und<br />

Verständigungskontext mit <strong>der</strong> Herrschaftsthematik und den vorherrschende Krisen-Diskursen verknüpfen würde.<br />

Nichts <strong>der</strong>gleichen geschah. <strong>Die</strong> iranische Gesellschaft tritt <strong>in</strong> <strong>der</strong> europäisch-amerikanischen Krisenrezeption<br />

eigentlich gar nicht auf; die Aufmerksamkeit konzentriert sich im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es traditionellen europäischen<br />

Staatsverständnisses auf den iranischen Staat und se<strong>in</strong>e Herrschaftshierarchie. Sozialwissenschaftlich und zivilisationstheoretisch<br />

ist hier schon <strong>der</strong> E<strong>in</strong>wand angebracht, dass diese Perspektive zu e<strong>in</strong>seitig und zum Verständnis<br />

<strong>der</strong> Situation <strong>in</strong> Umbruch- und Mo<strong>der</strong>nisierungsphasen <strong>in</strong> semiperipheren Regionen nicht adäquat ist. E<strong>in</strong> Verständnis<br />

<strong>der</strong> iranischen Entwicklung setzt e<strong>in</strong>e differenzierte E<strong>in</strong>beziehung des Diskurses <strong>der</strong> Sozialen Ungleichheit<br />

<strong>in</strong> die vorherrschenden Macht- und Herrschafts-Diskurse voraus.<br />

Hier sei mit Bezug auf e<strong>in</strong>en entsprechenden Zeitungsbericht auf die ökonomische Situation von <strong>Iran</strong> zu<br />

Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> <strong>Islamische</strong>n <strong>Revolution</strong> h<strong>in</strong>gewiesen. Es wird deutlich, dass <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er wachsenden Industriearbeiterschaft<br />

und <strong>in</strong> den ökonomisch expandierenden Städten die traditionalistischen Stabilitätsrituale, von denen im letzten<br />

Abschnitt die Rede war, nicht mehr greifen, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e neue Art <strong>der</strong> Dissonanzerfahrung zwischen <strong>der</strong> durch die<br />

verän<strong>der</strong>te ökonomische Entwicklung und Situation <strong>der</strong> Industrialisierung evozierten sozialkontextuellen und auf<br />

die eigenen biographischen Chancen bezogenen Erwartungen und den tatsächlichen negativen Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong><br />

eigenen Situation – Deklassierungen, materielle Verluste, Vere<strong>in</strong>zelung und Verlust traditioneller B<strong>in</strong>dungen –<br />

dom<strong>in</strong>ant wird, die zum ersten Mal e<strong>in</strong>e Selbstdef<strong>in</strong>ition <strong>als</strong> »arm« nicht nur ermöglicht son<strong>der</strong>n zwangsläufig<br />

macht. Mary E. Hooglund beschreibt diese Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> sozialen Kontexte <strong>der</strong> <strong>in</strong> die Städte pendelnden<br />

ehemaligen Landarbeiter und Bauern <strong>als</strong> e<strong>in</strong>en Ablösungsprozess von traditionellen B<strong>in</strong>dungen, Wertorientierungen<br />

und Verhaltensmustern, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e typische Folge <strong>der</strong> gescheiterten Mo<strong>der</strong>nisierung <strong>der</strong> so genannten »Weißen<br />

<strong>Revolution</strong>« und <strong>der</strong> damit verbundenen Landreform im letzten Jahrzehnt <strong>der</strong> Herrschaft von Šah Reza Pahlevi war.<br />

Ökonomische Mo<strong>der</strong>nisierung – und diese noch mit für den ländlichen Raum fragwürdigem Erfolg – verband sich<br />

mit sozialer Des<strong>in</strong>tegration.<br />

„Doch während sich die Landwirtschaft im Nie<strong>der</strong>gang befand, schuf <strong>der</strong> Öl-Boom <strong>der</strong> siebziger Jahre e<strong>in</strong>e<br />

ganze Reihe neuer Arbeitsplätze <strong>in</strong> den Fabriken, die im nahen Shiraz, nur wenige Kilometer vom Dorf<br />

entfernt, gebaut wurden. <strong>Die</strong> nun außerhalb des Dorfes arbeitenden Männer waren für ihren Unterhalt nicht<br />

mehr auf die politische Elite des Dorfes angewiesen. Entsprechend verlor die Ideologie und Weitsicht <strong>der</strong><br />

Abhängigkeit ihre Tragkraft. Nichts mehr veranlasste sie, e<strong>in</strong>e Ideologie zu akzeptieren o<strong>der</strong> sich an Ritualen<br />

zu beteiligen, die vorher e<strong>in</strong>e stillschweigende Voraussetzung für den Erwerb ihres Lebensunterhaltes gewesen<br />

waren. Denn wenn <strong>der</strong> neue Arbeitgeber <strong>in</strong> Shiraz ihnen allzu sehr zusetzte, dann bot <strong>der</strong> florierende Arbeitsmarkt<br />

genügend an<strong>der</strong>e Möglichkeiten e<strong>in</strong>er Beschäftigung. Für viele begann die Religion, wie sie sie bisher<br />

verstanden hatten, ihre Anziehungskraft und ihre zentrale Bedeutung im Leben und Denken zu verlieren.“<br />

(Hooglund 1981.)<br />

<strong>Die</strong> Verfasser<strong>in</strong> dieses Textes konzentriert sich dann auf denjenigen Teil <strong>der</strong> B<strong>in</strong>nenmigranten, die die Ablösung<br />

vom Traditionalismus nutzten, Ansätze e<strong>in</strong>er ideologischen Mo<strong>der</strong>nisierung im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> Entwicklung »westlicher«<br />

Diskursformen zu entwickeln. Hier f<strong>in</strong>det sich <strong>der</strong> Ansatz e<strong>in</strong>er neuen bürgerlichen Schicht, die sich jedoch, beim<br />

Scheitern <strong>der</strong> »Weißen <strong>Revolution</strong>« explizit oppositionell gegen das Šah-Regime stellte und im Bewusstse<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es<br />

eher säkularisierten islamischen Religionsverständnisses mit den Zielen e<strong>in</strong>er <strong>Islamische</strong>n <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong><br />

identifizieren konnten (auch wenn das für e<strong>in</strong>ige von ihnen letztlich e<strong>in</strong> <strong>in</strong>haltlich-politisches Missverständnis war).<br />

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