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Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

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<strong>Die</strong> <strong>Islamische</strong> <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> <strong>als</strong> <strong>Gegenstand</strong> <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Bildung und<br />

<strong>als</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung für den sozialwissenschaftlichen Unterricht<br />

durchsetzen konnte, zeigt, dass das Identitätskonzept weniger e<strong>in</strong>e soziologisch-analytische Kategorie <strong>als</strong> e<strong>in</strong><br />

politischer Interessenbegriff ist.<br />

Wie wenig das Identitätskonzept auf orig<strong>in</strong>är sozialwissenschaftlichen Kategorien fußt, zeigt <strong>als</strong>o die<br />

Leichtigkeit des gängigen ideologischen Missbrauchs, <strong>der</strong> mit dem Identitätsbegriff <strong>in</strong> alltäglichen<br />

Machtause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen beim Neben- und Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong>leben unterschiedlicher kultureller o<strong>der</strong> sprachlicher<br />

Gruppen verbunden ist. Ohne reale <strong>in</strong>haltliche Füllung wird Err<strong>in</strong>gung und Bewahrung kultureller o<strong>der</strong> gar<br />

ethnischer Identität <strong>als</strong> e<strong>in</strong> positives gesellschaftspolitisches Handlungsziel dargestellt, wenn eigentlich nur<br />

Konflikte zwischen Etablierten und Außenseitern, Existenz- und Partizipationssicherung und die Verschiebung<br />

realer Machtbalancen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft geme<strong>in</strong>t s<strong>in</strong>d. Damit ist <strong>der</strong> Identitätsbegriff <strong>in</strong> so hohem Maße aktuell<br />

ideologisch funktionalisiert und überformt, dass er auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> vorsichtigen wissenschaftlichen Anwendung zur<br />

Analyse realer sozialer Sachverhalte wohl kaum mehr s<strong>in</strong>nvoll anzuwenden ist.<br />

Identitätsfor<strong>der</strong>ungen dienen zur Rechtfertigung »ethnischer Säuberungen«, von Bürgerkriegen und<br />

Gewaltexzessen: und zwar von beiden Seiten. Da ist es notwendig, differenzierter und längerfristiger <strong>der</strong><br />

Entstehung von Gruppenkohäsion, <strong>der</strong> Durchsetzung von Werten, Verhaltensnormen und Alltagsritualen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

sozialen Realität nachzugehen.<br />

Inhaltlich genügt hier <strong>der</strong> Verweis auf die reichhaltigen und differenzierten Untersuchungen aus dem Bereich<br />

<strong>der</strong> Zivilisationstheorie nach Norbert Elias, die genau dies leistet und ohne <strong>in</strong>dividualpsychologische Metaphorik zur<br />

Beschreibung und Erklärung sozialer Prozesse auskommt. In diesem Zusammenhang ist es gar nicht notwendig auf<br />

Identitätsvorstellungen zurück zu greifen, sie erübrigen sich. An ihre Stelle tritt e<strong>in</strong> neues Bild von<br />

gesellschaftlichen Prozessen, <strong>in</strong>dem die stabilisierende, strukturelle Dimension von Figurationen beschrieben<br />

werden kann, <strong>in</strong> <strong>der</strong> soziale Kohäsion <strong>als</strong> Machtprozess und <strong>als</strong> Agieren <strong>in</strong> Machtbalancen aufzufassen ist und <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

pr<strong>in</strong>zipiell jede gesellschaftliche Entität – <strong>als</strong>o auch die Persönlichkeit des E<strong>in</strong>zelnen – <strong>als</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeitdimension sich<br />

wandeln<strong>der</strong>, <strong>als</strong> bed<strong>in</strong>gter und <strong>in</strong>terdependenter Prozess verstanden werden muss.<br />

Inwieweit dieser verän<strong>der</strong>te analytische Zugang, <strong>der</strong> nicht nur den zivilisationstheoretischen Ansatz betrifft,<br />

mit dem er hier begründet wurde, son<strong>der</strong>n tief <strong>in</strong> das Selbstverständnis <strong>der</strong> Gesellschaftswissenschaften und <strong>der</strong><br />

Politikdidaktik e<strong>in</strong>greifen wird, auch e<strong>in</strong>e philosophisch-anthropologische Dimension hat, die unter Umständen<br />

auch <strong>in</strong>dividualpsychologisch zu e<strong>in</strong>em verän<strong>der</strong>ten Bild des Individuums führt und auch hier den Identitätsbegriff<br />

neu zu def<strong>in</strong>ieren for<strong>der</strong>t, kann hier nicht e<strong>in</strong>gehen<strong>der</strong> erörtert werden, sollte aber <strong>als</strong> Problem und Fragestellung<br />

präsent se<strong>in</strong>, wenn es gilt, auf <strong>der</strong> Grundlage dieses dynamischen Gesellschafts- und Realitätsverständnisses über<br />

e<strong>in</strong>e grundlegende Verän<strong>der</strong>ung didaktischer und pädagogischer Konzepte nachzudenken. Es ist nicht unzulässig,<br />

zum<strong>in</strong>dest im Ansatz hier von e<strong>in</strong>em möglichen o<strong>der</strong> auch erfor<strong>der</strong>lichen Paradigmenwechsel zu sprechen.<br />

In diesem Abschnitt wird noch e<strong>in</strong>mal das zentrale Ideologem <strong>der</strong> westlichen Staatsgesellschaften<br />

angesprochen, das im Zentrum <strong>der</strong> kolonialen und nachkolonialen Universalisierungsbestrebungen steht:<br />

Staat und Nation. 134 Sichtbarer Ausdruck für diese Bedeutung ist die Tatsache, dass <strong>in</strong> <strong>in</strong>ternationalen<br />

Beziehungen (Verträge, UNO, an<strong>der</strong>e Bündnisse) immer nur Staaten <strong>als</strong> Repräsentanten ihrer Gruppen (nach<br />

Elias: Überlebense<strong>in</strong>heiten) akzeptiert und angesprochen werden – bis auf vere<strong>in</strong>zelte Ausnahmen – , wobei<br />

E<strong>in</strong> gutes Beispiel s<strong>in</strong>d die seit Jahrzehnten geführten Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen um die Staatengründung von<br />

Paläst<strong>in</strong>a.<br />

1.5.3.3. Staat und Nation<br />

Für die Orientierung <strong>in</strong> <strong>der</strong> heutigen Situation nicht nur <strong>in</strong> den Industriestaaten son<strong>der</strong>n gerade auch <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Untersuchung <strong>der</strong> Entwicklungsprozesse Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Semiperipherien und <strong>der</strong> globalen Peripherien, <strong>in</strong> denen<br />

konfliktreiche Versuche des nation build<strong>in</strong>g stattf<strong>in</strong>den, die im Rahmen <strong>der</strong> dom<strong>in</strong>anten Globalisierungsprozesse<br />

weltweite Aufmerksamkeit beanspruchen dürfen – wie <strong>in</strong> unserer Untersuchung die <strong>Islamische</strong> <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> –,<br />

spielen generell »klassische« Kategorien wie Gesellschaft, Staat und Nation e<strong>in</strong>e entscheidende Rolle und s<strong>in</strong>d zur<br />

<strong>in</strong>haltlichen Verklammerung <strong>der</strong> heranzuziehenden leitenden Diskurse und ihrer didaktischen Umsetzung <strong>in</strong><br />

Schlüsselproblemen notwendig zu erarbeiten.<br />

Obwohl es sich bei e<strong>in</strong>gehen<strong>der</strong>er historischer und historisch-soziologischer Analyse herausstellt, dass diese<br />

Begriffe zum Teil anachronistisch verwendet werden und dass sie <strong>als</strong> wissenschaftliche Kategorien zu wenig<br />

dist<strong>in</strong>kt und präzise s<strong>in</strong>d [vgl. Voigt 2002:22 passim], s<strong>in</strong>d sie <strong>als</strong> Verständigungsbasis ohne Alternativen. Es ist <strong>als</strong>o<br />

gerade im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Bildung notwendig, den Problemgehalt dieser Kategorien <strong>in</strong>haltlich auszuführen<br />

und somit die Begrifflichkeit diskursiv zu präzisieren. Auch <strong>in</strong> Blick auf die didaktische Inwertsetzung muss hier e<strong>in</strong><br />

historisch-prozessualer Zugang aus <strong>der</strong> europäischen Geschichte herausgefunden werden. Vor allem <strong>der</strong> Begriff<br />

Nation sollte <strong>als</strong> Wert- und Legitimationsbegriff auf den <strong>in</strong> <strong>der</strong> Neuzeit <strong>in</strong> Mittel- und Westeuropa entstehenden<br />

Territori<strong>als</strong>taat begriffen und se<strong>in</strong>er Fraglosigkeit entkleidet werden. In den diesbezüglichen öffentlichen Diskursen<br />

134<br />

Gerhard Voigt (Hrsg.): »Staatsgesellschaft«. Historisch-sozialwissenschaftliche Beiträge zur Diskussion von Entwicklungen,<br />

Problemen und Perspektiven (2002). Schriftenreihe des UNESCO-Clubs für die UNESCO-Schule am Maschsee,<br />

Bismarckschule Hannover, e.V., ISSN 0945-1536. Materialien zur Didaktik <strong>der</strong> Interkulturellen Bildung Heft 1. Hannover<br />

2002 - http://www.voigt-bismarckschule.de/Staatsgesellschaft/titel1.htm<br />

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