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Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

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4. Diskurse <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Bildung im Kontext <strong>der</strong> Ereignisse <strong>in</strong> <strong>Iran</strong><br />

Fällen ist e<strong>in</strong>e solche Zuordnung nicht mehr <strong>als</strong> e<strong>in</strong>e Momentaufnahme, bei <strong>der</strong> schon die Frage auftritt, ob e<strong>in</strong>e<br />

solche Zuordnung nach den Umwälzungen durch die <strong>Islamische</strong> <strong>Revolution</strong> überhaupt noch Bestand hat.<br />

Sicher ist zum<strong>in</strong>dest, dass die Mo<strong>der</strong>nitäts- und Entwicklungszentren im Laufe <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> sich über mehrere<br />

Jahrtausende erstreckenden Geschichte we<strong>der</strong> regional noch global e<strong>in</strong>e langfristige Stabilität aufweisen. So s<strong>in</strong>d<br />

auch die für das epochale Weltbild bestimmenden geistigen Zentren wechselnd. Es wäre aber wie<strong>der</strong>um unsachgerecht,<br />

aus <strong>der</strong> Tatsache, dass das antike Persien ohne Zweifel Macht- und Kulturzentrum im europäisch-vor<strong>der</strong>asiatischen<br />

Raum gewesen ist und wesentliche <strong>in</strong> die Weltgeschichte e<strong>in</strong>gegangene kulturelle und ökonomische<br />

Mo<strong>der</strong>nisierungen durchgesetzt hat 470 , auf kulturelle o<strong>der</strong> staatliche Kont<strong>in</strong>uität zu schließen.<br />

Das gilt ebenso für die islamische Zeit seit 700 u.Z. Während <strong>der</strong> Zeit nach <strong>der</strong> Islamisierung war das Gebiet<br />

des heutigen <strong>Iran</strong> ke<strong>in</strong>e def<strong>in</strong>ierbare und abgrenzbare regionale, kulturelle o<strong>der</strong> machtpolitische E<strong>in</strong>heit. Der<br />

Versuch, e<strong>in</strong>e solche im S<strong>in</strong>ne des mo<strong>der</strong>nen nation build<strong>in</strong>g zu schaffen, erfolgte zögerlich und <strong>in</strong> Ansätzen erst <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Zeit nach dem Ersten Weltkrieg während <strong>der</strong> Pahlavi-Dynastie.<br />

<strong>Die</strong> Herrschafts- und Gesellschaftsformen vor dieser Phase <strong>der</strong> – nicht sehr erfolgreichen, wie wir sehen<br />

werden – westlichen Mo<strong>der</strong>nisierung s<strong>in</strong>d mit Begriffen und Kategorien <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen europäischen Staatsgeschichte<br />

nicht h<strong>in</strong>reichend zu fassen und zu charakterisieren. Beson<strong>der</strong>s deutlich wird dies, wenn seit dem 16.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t, <strong>als</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> die Dynastie <strong>der</strong> Safawiden von Esfahan noch e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e kulturelle, politische und<br />

politische Blütezeit zu verzeichnen war, zunehmend e<strong>in</strong>e Dissynchronität <strong>der</strong> sozio-ökonomischen Entwicklungen<br />

von Europa und <strong>Iran</strong> auftritt und von beiden Seiten wahrgenommen, aber kontrovers <strong>in</strong>terpretiert wird. Für unseren<br />

Diskurs »Gesellschaft, Macht und Soziale Ungleichheit« ist es dabei beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong>teressant, dass wir es mit <strong>Iran</strong> nicht<br />

um e<strong>in</strong>e Region bzw. e<strong>in</strong> Land <strong>in</strong> kolonialer Abhängigkeit von e<strong>in</strong>er europäischen Hegemonialmacht zu tun haben,<br />

son<strong>der</strong>n um e<strong>in</strong>en seit dem 16. Jahrhun<strong>der</strong>t formal unabhängigen Staat. Das hat <strong>in</strong> Europa das Missverständnis<br />

hervorgerufen, hier e<strong>in</strong>en Staat im S<strong>in</strong>ne des europäischen Nation<strong>als</strong>taates vor Augen zu haben. Das war nun<br />

durchaus nicht <strong>der</strong> Fall. In <strong>Iran</strong> fanden die gleichzeitigen gesellschaftlichen Entwicklungen Europas zum<br />

Nation<strong>als</strong>taat und zur Staatsgesellschaft 471 nicht statt.<br />

Nach europäischen Kategorien war die iranische Herrschafts- und Gesellschaftsordnung unvollständig, defekt<br />

und daher zurückgeblieben. Kultur und E<strong>in</strong>fluss ebenso wie die lange Geschichte des Landes machten aber e<strong>in</strong>e<br />

e<strong>in</strong>fache Zuordnung zu für Europa postulierten Entwicklungsstufen <strong>der</strong> Staaten problematisch o<strong>der</strong> offensichtlich<br />

f<strong>als</strong>ch. So rätselte auch Karl Marx im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t über e<strong>in</strong>e sachgerechte Kategorisierung <strong>der</strong> orientalischen<br />

Gesellschaften im Phasenmodell des historischen Materialismus. Von <strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Sicht von Marx und den frühen<br />

Marxisten im Entwicklungsstand zu parallelisierenden europäische Gesellschaft des Feudalismus unterschied sich<br />

<strong>der</strong> Orient – bei Marx <strong>als</strong>o nicht nur <strong>Iran</strong> – <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Herrschaftsorganisation und <strong>in</strong> den ökonomischen Grundlagen,<br />

<strong>in</strong> denen Geldwirtschaft und Handel e<strong>in</strong>e weitaus größere Rolle spielten <strong>als</strong> im europäischen (Früh-) Mittelalter. Es<br />

blieb <strong>als</strong>o <strong>in</strong> Teilen <strong>der</strong> Marxistischen Staatstheorie bei e<strong>in</strong>er asiatischen Produktionsweise, die nicht nur im Orient,<br />

son<strong>der</strong>n teilweise auch <strong>in</strong> Russland gesehen wurde. Für <strong>Iran</strong> greift Massarat (1977) noch e<strong>in</strong>mal diese Diskussion<br />

auf und entscheidet sich im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es l<strong>in</strong>ken kritischen Gesellschaftsbildes wie<strong>der</strong>um für diese marxistische<br />

Term<strong>in</strong>ologie und gegen den Feudalismusbegriff.<br />

Im Gegensatz dazu hat Leng (1974) <strong>als</strong> Vertreter e<strong>in</strong>er kritischen, sozialwissenschaftlich orientierten Geographie<br />

für <strong>Iran</strong> auf dem Charakteristikum des Feudalismus <strong>in</strong>sistiert und dies vor allem mit <strong>der</strong> politisch-begrifflichen<br />

Unzulänglichkeit des von Bobek (1959) geprägten Begriffes e<strong>in</strong>es »Rentenkapitalismus« begründet, <strong>der</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> europäischen Geographie <strong>der</strong> orientalischen Län<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e weite Verbreitung gefunden hat und gestützt wird durch<br />

die Untersuchungen von Eugen Wirth (1956) zum »Orientalischen Wirtschaftsgeist«. Nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

term<strong>in</strong>ologisch wie<strong>der</strong> völlig zurückgetreten ist die Kategorie <strong>der</strong> »Hydraulischen Kulturen« von Wittfogel<br />

(1938/1980), <strong>der</strong> die »zweite landwirtschaftliche <strong>Revolution</strong>« <strong>der</strong> Urgeschichte, die Entwicklung des großflächigen<br />

Fluss-Bewässerungsanbaus im Zweistromland, <strong>als</strong> ausschlaggebend für die frühen Vergesellschaftungen und ersten<br />

Herausbildungen von Herrschaftshierarchien ansah. <strong>Die</strong>ser Ansatz ist wohl durch die <strong>der</strong> konservativen Geschichtsrezeption<br />

<strong>der</strong> Nachkriegszeit entsprechende politik- und staatsgeschichtliche Schwerpunktsetzung <strong>der</strong> alten Geschichte<br />

bis <strong>in</strong> die Zeit <strong>der</strong> Neurezeption (neo-) marxistischer Gesellschaftsvorstellungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

Deutschland <strong>in</strong> den siebziger Jahren <strong>als</strong> zu speziell und zu materialistisch verdrängt worden, abgesehen natürlich<br />

davon, dass e<strong>in</strong>e sachliche Revision durch die seither erfolgten Fortschritte <strong>der</strong> Archäologie und <strong>der</strong> frühen<br />

Textfunde notwendig gewesen wäre.<br />

In diesem Kontext ist die europäische Konzentration auf den Herrschaftsaspekt verständlich. In <strong>der</strong> von Said<br />

kritisch aufgearbeiteten orientalistischen Tradition geschieht das <strong>in</strong> strikt dichotomen Kategorien, bei denen <strong>der</strong><br />

europäische Staat <strong>der</strong> »orientalischen Despotie«472 gegenüber gestellt wird. Gholamassad (1985) greift <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Arbeit über die Entstehung <strong>der</strong> <strong>Islamische</strong> <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> diese Kategorisierungen durchaus zustimmend auf,<br />

wobei e<strong>in</strong>e gewisse phänomenologische Evidenz durchaus für e<strong>in</strong>e solche Zuordnung spricht, wenngleich auch hier<br />

470<br />

471<br />

472<br />

Wie perspektivisch verfälschend aus <strong>der</strong> Sicht des zeitweiligen politischen Gegners Griechenland die E<strong>in</strong>schätzung des<br />

Archaimenidenreiches <strong>in</strong> das europäische Geschichtsbild e<strong>in</strong>gegangen ist, zeigt die kritische Untersuchung zum Orientalismus<br />

von Edward Said (1981). Dass später das Alexan<strong>der</strong>reich <strong>in</strong> Europa <strong>als</strong> hellenistisch, d.h. griechisch, <strong>in</strong> Persien aber<br />

<strong>als</strong> persisch wahrgenommen und tradiert wurde, bestätigt diesen Perspektivismus <strong>der</strong> Geschichtstraditionen.<br />

Voigt 1999, Nettelmann / Voigt u.a. 1999. Dort auch weitere Literaturverweise zum zivilisationstheoretischen Konzept des<br />

Nation<strong>als</strong>taates und <strong>der</strong> Staatsgesellschaft. – Zum „Nachh<strong>in</strong>keffekt“ <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> vgl auch Alikhani 2012.<br />

Auch dieser Begriff wird von Wittfogel, Karl A., 1962, aufgegriffen.<br />

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