03.06.2014 Aufrufe

Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

1. <strong>Die</strong> „<strong>Islamische</strong>n <strong>Revolution</strong>“ <strong>in</strong> politischen und didaktischen<br />

Kontexten: E<strong>in</strong> Problemüberblick<br />

Der folgende Abschnitt ist dann re<strong>in</strong>e Reiselyrik, recht amüsant zu lesen, aber wenig aufschlussreich. Wichtig<br />

sche<strong>in</strong>t vielleicht noch <strong>der</strong> abschließende Satz, dass Scholl-Latour sich fragt, ob se<strong>in</strong> Gesprächspartner se<strong>in</strong>e so<br />

<strong>in</strong>teressanten Ausführungen wohl auch verstanden haben mag. Er fragt sich nicht, ob er <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage war, sich<br />

verständlich zu machen; diese Frage hätte ja e<strong>in</strong>en Perspektivwechsel und e<strong>in</strong>e Infragestellung se<strong>in</strong>er eigenen<br />

Fähigkeiten impliziert. Ohne diesen möglichen Anlass zu e<strong>in</strong>er polemischen Ausführung weiter zu verfolgen, sei auf<br />

die gute Eignung e<strong>in</strong>es solchen Textes für e<strong>in</strong>e Bearbeitung im Unterricht verwiesen.<br />

„Der Autobus rollte – nur fünf Kilometer an <strong>der</strong> sowjetischen Grenze vorbei – <strong>in</strong> den s<strong>in</strong>kenden Abend. <strong>Die</strong><br />

Schotterstraße war fürchterlich. Der Chauffeur sang mit rauher Kehle aserbeidschanische Kriegslie<strong>der</strong>, und die<br />

unrasierten Passagiere mit den stechenden Blicken stimmten im Chor e<strong>in</strong>. Sie sahen furchterregend aus, diese<br />

Aserbeidschaner, aber sie überschütteten mich <strong>als</strong> e<strong>in</strong>zigen Fremden mit Trauben, Melonenscheiben und rohen<br />

Salatgurken. <strong>Die</strong> Landschaft war kahl, und die untergehende Sonne überzog die schroffen Felsen mit rotem<br />

Glanz. <strong>Die</strong> Straße schlängelte sich durch schwarze, erstarrte Lavaströme, die <strong>der</strong> Berg Ararat e<strong>in</strong>mal<br />

ausgespuckt hatte. Alle zehn Kilometer wurde <strong>der</strong> Bus angehalten. Persisches Militär, <strong>in</strong> Khaki gekleidet und<br />

reichlich verwahrlost, kontrollierte umständlich die Passagiere. Von <strong>der</strong> türkischen Exaktheit war hier ke<strong>in</strong>e<br />

Spur mehr. Stets wurde an den Sperren Tee serviert. Das Mißtrauen war mit Händen zu greifen. Im Flecken<br />

Maku, dessen alte Mauern wie Schwalbennester <strong>in</strong> die Felswand e<strong>in</strong>gelassen waren, stieg e<strong>in</strong> fast eleganter<br />

<strong>Iran</strong>er zu, <strong>der</strong> sich neben mich setzte und mich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em schau<strong>der</strong>haften Französisch über me<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>stellung<br />

zum Kommunismus ausfragte. Was mag er von me<strong>in</strong>en Antworten verstanden haben?“ (Scholl-Latour 1983:<br />

98.)<br />

Wie wichtig e<strong>in</strong> solcher reflexiver Ansatz des Lesens von journalistischen Texten über den Orient – o<strong>der</strong> viel<br />

allgeme<strong>in</strong>er: über das Fremde – ist 47 , zeigt sich vor allem dann, wenn <strong>der</strong> Autor zusammenfassende historische<br />

Wertungen vornimmt, wie die nachfolgende über die Zeit <strong>der</strong> Regentschaft von Šah Reza bis zum Zweiten<br />

Weltkrieg. Hier s<strong>in</strong>d dann die Wahrnehmungsstereotypen zu Deutungsmustern für historische Prozesse geworden,<br />

die immanent e<strong>in</strong> ganzes orientalistisches Weltbild vermitteln.<br />

„Was half es Reza Schah, dass er Eisenbahnen schuf, Straßen anlegte, Hotels baute? Wo sich ihm Wi<strong>der</strong>stand<br />

stellte, brach er ihn mit allen Mitteln. Er stellte e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>heitliches Heer auf, unterwarf zum ersten Mal die<br />

aufsässigen Stämme <strong>der</strong> Kurden, Bakhtiaren und Kaschgai, die das Land unsicher machten, und setzte die<br />

Bevölkerung unter den Druck se<strong>in</strong>er allmächtigen Polizei. Das Volk fügte sich. <strong>Die</strong> reichen Großgrundbesitzer<br />

zitterten, aber <strong>der</strong> Schwung e<strong>in</strong>er nationalen Begeisterung wurde nie wach. Unter <strong>der</strong> Knute des Schah sahen<br />

sogar die Mullahs ihren religiösen E<strong>in</strong>fluß schw<strong>in</strong>den. <strong>Die</strong> Frauen <strong>in</strong> Teheran hörten auf, sich zu verschleiern,<br />

die Gesetze des Korans machten e<strong>in</strong>em mo<strong>der</strong>nen Lebensstil Platz. Dennoch blieb die iranische Masse <strong>in</strong> ihrer<br />

Gesamtheit das, was sie war: e<strong>in</strong> altes, dekadentes Volk, das paradoxerweise nie reif geworden war. <strong>Die</strong>jenigen,<br />

die es leiten sollten, führten ihr nutzloses Feudalleben weiter, ohne von <strong>der</strong> importierten Zivilisation<br />

mehr <strong>als</strong> den bl<strong>in</strong>kenden äußeren Sche<strong>in</strong> anzunehmen.<br />

Als daher 1941 Englän<strong>der</strong> und Russen, die ohneh<strong>in</strong> die Versuche e<strong>in</strong>er nationalen Wie<strong>der</strong>geburt Persiens und<br />

die Sympathien Reza Schahs für das Dritte Reich mit Mißtrauen verfolgt hatten, das Und besetzten, den<br />

Herrscher zugunsten se<strong>in</strong>es Sohnes zur Abdankung zwangen und ihn nach Südafrika deponierten, brach auch<br />

se<strong>in</strong> Werk wie<strong>der</strong> ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>. Das Land atmete auf, <strong>als</strong> das eiserne Regime verschwand, obwohl es Reza<br />

Schah nachträglich den Titel »Der Große« verlieh. <strong>Die</strong> Straßen verfielen, die Verwaltung kehrte zum alten<br />

Schlendrian zurück, die Stämme begannen zu rumoren, die Mullahs gewannen wie<strong>der</strong> ihren E<strong>in</strong>fluß über das<br />

dumpfe Volk, und die reiche Großgrundbesitzer- und Händlerschicht setzte an die Stelle <strong>der</strong> erbarmungslosen,<br />

aber wirksamen Diktatur e<strong>in</strong>e korrupte Oligarchie, die das breite Volk <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em unsagbaren Elend und se<strong>in</strong>er<br />

47<br />

Abadan im Erdölgebiet <strong>in</strong> SW-Persien, <strong>der</strong> sich bitter beklagte, dass er e<strong>in</strong> Strafmandat nur deswegen bekommen hätte,<br />

weil er die E<strong>in</strong>bahnstraße f<strong>als</strong>ch herum gefahren wäre, dass er noch zweimal Ärger mit <strong>der</strong> Polizei bekommen hätte, e<strong>in</strong>mal<br />

weil er auf dem Gepäckträger e<strong>in</strong>es Fahrrads mitgefahren und e<strong>in</strong>mal, weil er mit dem Fahrrad durch den Bazar gefahren<br />

wäre: „<strong>Die</strong> Širazi s<strong>in</strong>d viel zu ordentlich, Širaz ist e<strong>in</strong> Polizeistaat.“ – Es liegt nahe, hier e<strong>in</strong>e figurationssoziologische<br />

Analyse anzuschließen. Doch soll hier <strong>der</strong> H<strong>in</strong>weis auf Jahrhun<strong>der</strong>te alte ethnische Konflikte zwischen turkmenischen Nomaden,<br />

die oft die Machtstärkeren waren, und persischen Bauern und Städtern zu verweisen, wobei die durch Geschichte<br />

und Sprache (›Farsi‹) geprägte Landeskultur und das Selbstverständnis <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Kultur persisch, die Herrschaft<br />

aber <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mehrzahl <strong>der</strong> Dynastien turkmenisch o<strong>der</strong> afghanisch gewesen ist. Širaz ist dabei <strong>der</strong> zentrale Ort <strong>der</strong> Prov<strong>in</strong>z<br />

Fârs, <strong>der</strong> alten persis, von <strong>der</strong> die altpersische Kultur und Herrschaft sich ausbreitete. Ähnliche kulturell def<strong>in</strong>ierte Überlegenheitsansprüche<br />

f<strong>in</strong>den sich vielfach <strong>in</strong> alten Hauptstädten, die von jüngeren machtpolitisch o<strong>der</strong> ökonomisch überlegenen<br />

Regionen und Orten abgelöst worden s<strong>in</strong>d, wie es z.B. die Rivalität zwischen Kraków und Warszawa <strong>in</strong> Polen zeigt.<br />

Dabei ist es durchaus nicht historischer Zufall, wenn sich gerade <strong>in</strong> diesen alten Zentren tatsächlich hochkulturelle Traditionen<br />

herausbilden, die für die Landeskultur prägend werden. Širaz ist z.B. die Stadt <strong>der</strong> beiden weltkulturell bedeutsamen<br />

persischen Dichter Hafez und Saadi, denen viele weitere wichtige Schriftsteller und Wissenschaftler folgten.<br />

Was nicht verwechselt werden darf mit e<strong>in</strong>er klassischen ideologiekritischen Arbeit, die auf das Erkenntnis<strong>in</strong>teresse (Interessengeleitetheit<br />

<strong>der</strong> Wahrnehmung und des Denkens) und die Folgerichtigkeit <strong>der</strong> gedanklichen Ableitung abhebt; wahrnehmungs-<br />

und rezeptionssoziologisches Arbeiten thematisiert ohne denunziatorische Intention den soziokulturellen H<strong>in</strong>tergrund<br />

<strong>der</strong> Wahrnehmung und versucht dabei, e<strong>in</strong>e geeignete Distanzebene <strong>der</strong> Wahrnehmung zu f<strong>in</strong>den. <strong>Die</strong>ser Ansatz<br />

ist rekursiv und selbstreferentiell und führt im Gegensatz zur formalen Ideologiekritik nicht zu e<strong>in</strong>em abschließenden Ergebnis<br />

son<strong>der</strong>n leitet permanente Reflexionsprozesse e<strong>in</strong>.<br />

33

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!