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Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

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4. Diskurse <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Bildung im Kontext <strong>der</strong> Ereignisse <strong>in</strong> <strong>Iran</strong><br />

Reaktion auf die Ereignisse <strong>der</strong> <strong>Islamische</strong>n <strong>Revolution</strong> übergreifende Diskurse über Staat, Gesellschaft<br />

und Menschenrechte entwickelten, <strong>in</strong> die auch <strong>Iran</strong> e<strong>in</strong>bezogen ist und <strong>in</strong> denen die <strong>Islamische</strong> Republik<br />

sich dezidiert artikuliert.<br />

E<strong>in</strong>e Situationsanalyse <strong>der</strong> heutigen iranischen Gesellschaft wird daher den Spannungsbogen von Mo<strong>der</strong>nisierungsphasen<br />

<strong>in</strong> <strong>Iran</strong> und <strong>der</strong> Selbstbehauptung und Selbst<strong>in</strong>szenierung des iranischen Traditionalismus große<br />

Aufmerksamkeit schenken müssen. Dabei wird das Stereotyp zurückzuweisen se<strong>in</strong>, die <strong>Islamische</strong> Republik <strong>Iran</strong><br />

o<strong>der</strong> gar <strong>der</strong> Islam sei pr<strong>in</strong>zipiell »rückständig« und »unmo<strong>der</strong>n«.<br />

<strong>Die</strong> schon diskutierte ambivalente Funktionalisierbarkeit von Werten und religiösen Symbolwelten und<br />

Realitätsdeutungen macht deutlich, dass sich <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e mit Blick auf das Beispiel <strong>Iran</strong>, e<strong>in</strong> Diskurs über Soziale<br />

Ungleichheit we<strong>der</strong> auf e<strong>in</strong>e ethische Referenz, noch auf e<strong>in</strong>e aktualistische Strukturanalyse beschränken darf,<br />

son<strong>der</strong>n den Prozesscharakter im Spannungsfeld kontroverser Wertvorstellungen und Situations<strong>in</strong>terpretationen, im<br />

Spannungsrahmen zwischen Mo<strong>der</strong>nisierungs- und Integrationsprozessen – die sich letztlich an den Homogenisierungsprozessen<br />

des europäischen nation build<strong>in</strong>g orientieren – und traditionalistischer Retardierung, Stagnation<br />

und Des<strong>in</strong>tegration thematisieren muss. <strong>Die</strong> notwendig eurozentrische Perspektive dieses Ansatzes, die sich erst <strong>in</strong><br />

überwölbende <strong>in</strong>ternationale Diskurse e<strong>in</strong>fügen lassen muss, drückt sich schon <strong>in</strong> <strong>der</strong> semantischen Asymmetrie <strong>der</strong><br />

bezeichnenden Kategorien aus, <strong>der</strong>en negativen Konnotationen durchaus nicht <strong>als</strong> Realitätsbeschreibungen<br />

verstanden werden dürfen und von iranischer Seite durchaus kontrovers konnotiert werden müssen.<br />

<strong>Die</strong> traditionalistische Komponente des Konzeptes <strong>der</strong> <strong>Islamische</strong>n Republik drückt im Gegenteil aus<br />

offizieller iranischer Sicht e<strong>in</strong> alternatives Modell von Mo<strong>der</strong>nität aus, das mit e<strong>in</strong>em autochthonen<br />

gesellschaftlichen Fortschritt gleichgesetzt wird. Wesentlich ist aus iranischer Perspektive gerade die Kritik an <strong>der</strong><br />

Mo<strong>der</strong>nitätskonzeption Westeuropas und <strong>der</strong> USA, die <strong>als</strong> verhängnisvoll und gerade nicht <strong>als</strong> fortschrittlich<br />

wahrgenommen wird. Insofern ist die iranische Selbstdef<strong>in</strong>ition <strong>als</strong> »revolutionär« durchaus im S<strong>in</strong>ne westlicher<br />

<strong>Revolution</strong>stheorien zu verstehen und <strong>als</strong> Durchsetzung sozialen Fortschritts plakatiert.<br />

<strong>Die</strong>ser grundlegende notwendige Perspektivwechsel <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beurteilung Sozialer Ungleichheit und Mo<strong>der</strong>nität<br />

zwischen Europa und <strong>Iran</strong> ist e<strong>in</strong> strukturierendes fruchtbares Element e<strong>in</strong>es erneuerten Diskurses über Staat und<br />

Gerechtigkeit, über Soziale Ungleichheit und Herrschaft. Es verlangt im didaktischen Diskurs ausdrücklich<br />

Distanzierungsfähigkeit und das Akzeptieren ambivalenter und mehrschichtiger Realitätsmodelle.<br />

4.1.4. <strong>Die</strong> Gesellschaft <strong>Iran</strong>s: Das Problem von Armut und Verelendung<br />

<strong>Die</strong> Rezeptionsdynamik gegenüber <strong>der</strong> <strong>Islamische</strong>n <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> und gegenüber <strong>der</strong> Situation <strong>der</strong> iranischen<br />

Gesellschaft zeigt unerwartete Züge, die <strong>der</strong> bisherigen »Dritte-Welt-Perspektive« zuwi<strong>der</strong> laufen und Reflexionen<br />

über die Struktur des Diskurses notwendig machen. <strong>Die</strong> öffentlichen und veröffentlichten Diskurse über die die<br />

»Dritte Welt« waren <strong>in</strong> den 70er Jahren zunehmend gekennzeichnet von <strong>der</strong> Armutsproblematik <strong>als</strong> Kern <strong>der</strong><br />

europäischen Wahrnehmungen Sozialer Ungleichheit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Dritten Welt. Das entwickelte sich zu grundlegenden<br />

Vorstellungen e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>ternationalen sozialen Disparität, um <strong>der</strong>en Genese und Erklärung gestritten wurde. <strong>Die</strong><br />

daraus abzuleitenden didaktischen Folgerungen für e<strong>in</strong>e »Dritte-Welt-Didaktik« s<strong>in</strong>d an an<strong>der</strong>er Stelle ausführlicher<br />

diskutiert worden. Hier soll <strong>der</strong> Aspekt des Umgangs mit <strong>der</strong> Wahrnehmung <strong>der</strong> Sozialen Ungleichheit <strong>als</strong> Beispiel<br />

für e<strong>in</strong>en – den? – zentralen Diskurs sozialen bzw. sozialwissenschaftlichen Denkens aufgegriffen werden.<br />

<strong>Die</strong> Armutsthematik wird <strong>in</strong> den europäischen Län<strong>der</strong>n vor allem im Interesse <strong>der</strong> Staaten fokussiert, die<br />

e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>en Maßstab für die Wirksamkeit ihrer jeweiligen sozial- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen benötigen.<br />

482 Dabei richtet sich das Interesse e<strong>in</strong>mal auf die für soziale Maßnahmen maßgebliche »Armutsgrenze«,<br />

zum an<strong>der</strong>n auf den rechtlichen Status <strong>der</strong> so def<strong>in</strong>ierten »Armen«. 483<br />

Auch im <strong>in</strong>ternationalen Bereich bezieht sich <strong>der</strong> Armuts-Diskurs zunächst e<strong>in</strong>mal darauf, »arme«, das heißt,<br />

zum Empfang def<strong>in</strong>ierter Hilfsleistung berechtigte Staaten nach e<strong>in</strong>deutigen Kriterien zu def<strong>in</strong>ieren. <strong>Die</strong> UNO und<br />

ihre Unterorganisationen haben hier zunächst recht grobschlächtige Gruppierungen <strong>der</strong> »un<strong>der</strong>developed countries«<br />

entwickelt, die LDCs, LLDCs und die MSACs, die »most serious affected countries«, die Zugriff auf Kredite zu<br />

beson<strong>der</strong>s günstigen Konditionen bei <strong>der</strong> Weltbank haben und bei Umschuldungs- o<strong>der</strong> Moratoriumsmaßnahmen<br />

primär versorgt werden. Dabei s<strong>in</strong>d die Kriterien selbstverständlich politische Setzungen und ke<strong>in</strong>e wissenschaftlichen<br />

Aussagen über die tatsächlichen Lebensverhältnisse <strong>in</strong> diesen Län<strong>der</strong>n, wobei noch zu betonen ist, dass <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Regel ausschließlich Staaten im traditionellen Verständnis überhaupt <strong>in</strong>s Blickfeld dieser UNO-Politik geraten und<br />

partizipieren können, wie überhaupt ausschließlich Staaten an den politischen Entscheidungen <strong>der</strong> UNO beteiligt<br />

s<strong>in</strong>d. <strong>Die</strong>se für den Gesellschafts-Diskurs außerordentlich wichtige Voraussetzung spiegelt sich nun dar<strong>in</strong>, dass <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> tatsächlichen <strong>in</strong>ternationalen Entwicklungspolitik484 zunehmend neben das staatliche Handeln die Aktivitäten<br />

<strong>der</strong> NGO, die Non-Gouvernment Organisations, treten, <strong>der</strong>en <strong>in</strong>ternationale und nationale Rechtsposition vage und<br />

recht unbestimmt ist.<br />

482<br />

Ob vorwiegend zu propagandistischen bzw. legitimatorischen Zwecken o<strong>der</strong> tatsächlich zur Überprüfung konkreten politischen<br />

Handelns mag unterschiedlich se<strong>in</strong> und sei hier dah<strong>in</strong> gestellt.<br />

483<br />

Arbeitslose, ger<strong>in</strong>gfügig Beschäftigte, Obdachlose, Randgruppen...<br />

484<br />

Wie auch <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en politischen Problemfel<strong>der</strong>n, z.B. im Ökologiebereich o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Menschenrechtspolitik.<br />

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