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Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

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<strong>Die</strong> <strong>Islamische</strong> <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> <strong>als</strong> <strong>Gegenstand</strong> <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Bildung und<br />

<strong>als</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung für den sozialwissenschaftlichen Unterricht<br />

politischer Stabilität erkaufen.... Anfang 1974 wurde <strong>der</strong> fünfte Fünfjahresplan, kaum e<strong>in</strong> Jahr alt, revidiert.<br />

Der neue Plan sah Ausgaben <strong>in</strong> Höhe von 69 Milliarden Dollar vor, doppelt soviel wie im beiseite gewischten<br />

Orig<strong>in</strong>alentwurf. Im Haushaltsjahr 1974-75 gab die Regierung 22 Milliarden Dollar aus – fast genau soviel<br />

wie <strong>in</strong> vorangegangenen drei Jahren. Der Schah wollte e<strong>in</strong> Wirtschaftswachstum von 27 Prozent an Stelle <strong>der</strong><br />

nicht gerade niedrigen 11 Prozent von Vorjahr.... Im Oktober 1975 zeigten sich bereits die ersten Risse im<br />

iranischen Wirtschaftswun<strong>der</strong>, aber zugleich protzte <strong>der</strong> Schah vor e<strong>in</strong>er englischen Journalist<strong>in</strong>: ‚Ich gebe mir<br />

13 Jahre Zeit, um e<strong>in</strong> Fundament zu bauen, dass niemand und nichts erschüttern kann. Wir werden dann den<br />

Lebensstandard erreicht haben, den ihr im Westen heute habt.‘... E<strong>in</strong> Jahr später hatte sich die iranische<br />

Wirtschaft festgefahren, und <strong>der</strong> Traum von <strong>der</strong> Weltmacht <strong>Iran</strong> lag <strong>in</strong> Scherben. <strong>Die</strong> Inflationsrate war auf 40<br />

Prozent empor geschnellt, während die Öle<strong>in</strong>nahmen wegen <strong>der</strong> weltweiten Rezession um 20 Prozent<br />

gesunken waren. Das Land musste kurzfristige teurere Kredite auf dem Weltmarkt aufnehmen, um e<strong>in</strong>e Drei-<br />

Milliarden-Dollar-Loch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Handelsbilanz zu stopfen.... Zu Beg<strong>in</strong>n des Jahres 1977 lockte <strong>der</strong> Schah<br />

plötzlich die Zügel se<strong>in</strong>er Alle<strong>in</strong>herrschaft. Den Abgrund, vor dem er stand, wollte er o<strong>der</strong> konnte er nicht<br />

wahrhaben: „Niemand kann mich stürzen“, protzte er noch im Sommer dieses Jahren kurz vor Ausbruch <strong>der</strong><br />

großen Unruhen. Der Schah ist gestrauchelt, aber noch nicht gefallen.“ 501<br />

<strong>Die</strong> Wi<strong>der</strong>sprüchlichkeit <strong>der</strong> »Weißen <strong>Revolution</strong>« <strong>als</strong> Mo<strong>der</strong>nisierungsversuch wird auch e<strong>in</strong>em weiteren umfangreicheren<br />

Pressebericht deutlich, <strong>in</strong> dem retrospektiv noch e<strong>in</strong>mal deutlich wird, dass <strong>in</strong> dieser Phase die europäische<br />

Rezeption <strong>der</strong> Situation <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> durchaus noch den üblichen »Dritte-Welt«-Mustern folgt, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Armut, wirtschaftliche<br />

Krise und Entwicklungshoffnung und Westorientierung <strong>der</strong> Politik <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em unlösbaren funktionalen<br />

Kontext e<strong>in</strong>bezogen werden.<br />

Mal gibt es im Basar ke<strong>in</strong>e Zwiebeln, mal müssen die Supermärkte Milch rationieren – e<strong>in</strong>e Tüte pro Käufer<br />

und Tag. Wochenlang gab es im Dezember für viere<strong>in</strong>halb Millionen Tehraner überhaupt ke<strong>in</strong>e Kartoffeln. Zwar<br />

werden im <strong>Iran</strong> fast täglich neue Fabriken e<strong>in</strong>geweiht, das Land kocht selber Stahl, baut Düsenjäger, Busse, Pkws,<br />

Lkws <strong>in</strong> Lizenz, Asphaltstraßen und Elektrizität werden <strong>in</strong> die entferntesten W<strong>in</strong>kel des Kaiserreichs gelegt; aber die<br />

persische Landwirtschaft kann schon längst nicht mehr mit dem steigenden Konsum und dem Bevölkerungszuwachs<br />

Schritt halten. Das klassische Agrarland ist zum Agrar-Importland geworden. 502<br />

<strong>Die</strong>se Beobachtung sollte nicht verwun<strong>der</strong>n, da nahezu alle »klassischen Agrarlän<strong>der</strong>« <strong>in</strong> den Bereichen <strong>der</strong><br />

»vormo<strong>der</strong>nen Peripherien« liegen und – wie das Europa des Mittelalters – durch die Dissynchronität von demographischer<br />

Entwicklung und vor<strong>in</strong>dustrieller landwirtschaftlicher Produktion gekennzeichnet s<strong>in</strong>d. Malthus hat<br />

daraus se<strong>in</strong>e klassischen Bevölkerungstheorien abgeleitet. Krisenhaft wird dieser Prozess aber beson<strong>der</strong>s, wenn auch<br />

<strong>in</strong> an<strong>der</strong>en gesellschaftlichen Bereichen e<strong>in</strong>e zunehmende Dissynchronisierung <strong>der</strong> Entwicklungsprozesse auftritt<br />

wie <strong>in</strong> den sich partiell und regional <strong>in</strong>dustrialisierenden Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Semiperipherien o<strong>der</strong> den Krisenregionen <strong>der</strong><br />

Transformationslän<strong>der</strong>. Agrar-Import ist e<strong>in</strong>e Chance, die heute durch die Überproduktion <strong>der</strong> <strong>in</strong>dustrialisierten<br />

Landwirtschaft <strong>in</strong> den Industrielän<strong>der</strong>n ermöglicht wird, aber ke<strong>in</strong>eswegs zur Überw<strong>in</strong>dung <strong>der</strong> ökonomischen und<br />

sozialen Strukturkrisen <strong>in</strong> den Semiperipherien beiträgt. <strong>Iran</strong> war und ist e<strong>in</strong> typisches Beispiel dafür. Nach <strong>der</strong><br />

<strong>Islamische</strong>n <strong>Revolution</strong> hat zwar e<strong>in</strong>e politisch <strong>in</strong>tendierte Retardierung <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>nisierung und Verwestlichung<br />

vorübergehend zu e<strong>in</strong>er höheren Eigenversorgung mit Lebensmitteln <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> geführt. Doch zeigt e<strong>in</strong>e kritischere<br />

Untersuchung, dass das meist erkauft wurde durch den Rückfall ganzer Regionen <strong>in</strong> traditionelle Armut und<br />

Selbstversorgung. 503 Heute wird die Versorgungskrise <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> wie<strong>der</strong> evident. <strong>Die</strong> Folgen dieser Agrarkrise greifen<br />

aber über die Versorgungsproblematik h<strong>in</strong>aus auf die allgeme<strong>in</strong>e gesellschaftliche Entwicklung über, wie die<br />

Fortsetzung des zitierten Artikels aufweist:<br />

„Immer mehr Bauern wan<strong>der</strong>n auf den neuen Straßen <strong>in</strong> die städtischen Industriegebiete ab – <strong>in</strong> zehn Jahren<br />

zehn Millionen Menschen –, wo sie <strong>als</strong> Handlanger am Fließband dreimal mehr verdienen <strong>als</strong> bei mühseliger<br />

Feldarbeit. Während Persien noch vor zehn Jahren Lebensmittel exportieren konnte, muss es heute e<strong>in</strong>fuhren:<br />

1974 beispielsweise 1,5 Millionen Tonnen Getreide, 1975 rund 2,5 Millionen Tonnen. <strong>Die</strong> Folgen: Traktorfahrer<br />

landwirtschaftlicher Genossenschaften sattelten auf schwere Lastwagen um, mit denen sie schnelles<br />

Geld im Speditionsgeschäft verdienen, weil die Importe von den Häfen <strong>in</strong> die Städte gebracht werden müssen.<br />

Ke<strong>in</strong> Arzt, ke<strong>in</strong> Lehrer, ke<strong>in</strong> Ingenieur o<strong>der</strong> Beamter ist heute mehr zu bewegen, freiwillig <strong>in</strong> die Prov<strong>in</strong>z zu<br />

gehen, denn <strong>in</strong> den Städten verdient man mehr, schneller, besser. Dabei war alles ganz an<strong>der</strong>s geplant, <strong>als</strong> <strong>der</strong><br />

Kaiser se<strong>in</strong>em Reich vor mehr <strong>als</strong> e<strong>in</strong>er Dekade die „Weiße <strong>Revolution</strong>“ verordnete. Bäumchen wurden <strong>in</strong> den<br />

Wüsten gepflanzt, Leibeigene befreit, Län<strong>der</strong>eien <strong>der</strong> Krone neuen Kle<strong>in</strong>bauern überlassen, Großgrundbesitzer<br />

501<br />

1978-08-22 DIE ZEIT – Vgl. zur Wirtschaftsentwicklung dieser Zeit auch Balaghi-Mobayen, Moustafa, 1992: <strong>Die</strong> wirtschaftliche<br />

Entwicklung des <strong>Iran</strong> seit dem Zweiten Weltkrieg unter dem Gesichtspunkt <strong>der</strong> außenwirtschaftlichen Verflechtung.<br />

E<strong>in</strong> Beitrag zur sozio-ökonomischen Entwicklung. Berl<strong>in</strong>, Centaurus Verlag. – Meyer, Lutz , 1982: Ziele, Konfliktbereitschaft<br />

und Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> , iranischen Erdölpolitik 1970 – 1980. Vom Schahregime zur <strong>Islamische</strong>n Republik.<br />

Verlag f. Entwicklungspolitik Saarbrücken<br />

502<br />

228<br />

»<strong>Die</strong> f<strong>als</strong>che Rechnung des Schah: Weil <strong>der</strong> <strong>Iran</strong> Getreide importieren muss, fürchtet sich <strong>der</strong> Haupt<strong>in</strong>itiator des Ölkartells<br />

jetzt vor ausländischer Erpressung«. DER STERN, Heft 10, 28. 2. 1976, S. 165-166<br />

503<br />

Ähnliche Phänomene s<strong>in</strong>d auch <strong>in</strong> Transformationslän<strong>der</strong>n wie Polen temporär zu beobachten gewesen. Erst e<strong>in</strong>e neue<br />

Mo<strong>der</strong>nisierungs- und ökonomische Wachstumsphase kann hier die Nahrungsmittelkrise überw<strong>in</strong>den helfen.

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