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Die Islamische Revolution in Iran als Gegenstand der Politischen ...

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<strong>Die</strong> <strong>Islamische</strong> <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Iran</strong> <strong>als</strong> <strong>Gegenstand</strong> <strong>der</strong> <strong>Politischen</strong> Bildung und<br />

<strong>als</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung für den sozialwissenschaftlichen Unterricht<br />

ihm überwiegt je nach Kontext die Bewertung dieser Entwicklung <strong>als</strong> Chance o<strong>der</strong> <strong>als</strong> Gefahr, ohne dass<br />

aber je klargelegt würde, wodurch sich entscheidet, ob Individualisierung Chance o<strong>der</strong> Gefahr ist. In <strong>der</strong><br />

Rezeption überwiegen allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>deutig die pessimistischen Töne. Dabei sollten wir nie vergessen,<br />

dass noch <strong>in</strong> den 1960er-Jahren, <strong>als</strong> <strong>der</strong> Prozess <strong>der</strong> Auflösung <strong>der</strong> klassischen konfessionellen Milieus<br />

und <strong>der</strong> Arbeitermilieus e<strong>in</strong>setzte, die Versäulung <strong>der</strong> deutschen Gesellschaft zu Recht <strong>als</strong> H<strong>in</strong><strong>der</strong>nis für<br />

e<strong>in</strong>e funktionierende Demokratie betrachtet und die Milieuauflösung deshalb aufatmend begrüßt<br />

wurde. 549 Sowohl bei Beck wie, krasser noch, bei Wilhelm Heitmeyer f<strong>in</strong>det sich <strong>der</strong> Gedanke, dass<br />

Rechtsextremismus und Gewalttätigkeit von Jugendlichen selbst auf Individualisierung und<br />

Des<strong>in</strong>tegration zurückgehen. <strong>Die</strong> folgende Formel ist ke<strong>in</strong>e übel wollende Karikatur, son<strong>der</strong>n stammt<br />

wörtlich von Heitmeyer selbst: »Je mehr Freiheit, desto weniger Gleichheit; je weniger Gleichheit, desto<br />

mehr Konkurrenz; je mehr Konkurrenz, desto weniger Solidarität; je weniger Solidarität, desto mehr<br />

Vere<strong>in</strong>zelung; je mehr Vere<strong>in</strong>zelung, desto weniger soziale E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung; je weniger soziale E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung,<br />

desto mehr rücksichtslose Durchsetzung.«“ 550 .<br />

Was dieser missverstandene Diskurs <strong>in</strong> <strong>der</strong> aktuellen Schulpraxis bedeuten kann und wie er den notwendigen<br />

didaktischen Paradigmenwandel blockiert, wird knapp und anekdotisch, persönliche Betroffenheit<br />

des Verfassers wi<strong>der</strong>spiegelnd, im „Post Scriptum“ am Ende dieser Arbeit angedeutet werden. Damit<br />

wird auch klar, dass die hier exemplarisch herausgehobenen Diskursfel<strong>der</strong> ke<strong>in</strong>esfalls akademisch-abgehoben<br />

zu lesen s<strong>in</strong>d, son<strong>der</strong>n Schlüsselprobleme <strong>der</strong> gesellschaftlichen wie schulisch-unterrichtlichen<br />

Wirklichkeit aufgreifen und diskursfähig machen sollen.<br />

b. Der Diskurs des Staates. <strong>Die</strong> historisch-ideologische Struktur dieses Diskurses ist <strong>der</strong> des Demokratie-<br />

Diskurses vergleichbar, was auf die historische Verknüpfung <strong>der</strong> Entstehung <strong>der</strong> mittel- und westeuropäischen<br />

Staatsmodelle mit <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> „Schutz<strong>in</strong>stitutionen“ <strong>der</strong> Demokratie zurück zu<br />

führen ist. Der reale historische Prozess ist <strong>als</strong> sich entwickelnde Gleichgewichtsfiguration zwischen<br />

Durchsetzung des Gewaltmonopols des Staates und <strong>der</strong> Herrschaftsbegrenzung durch demokratische<br />

Vefahrensvorschriften zu verstehen. <strong>Die</strong>se Doppelgesichtigkeit des mo<strong>der</strong>nen Staates lässt sich an <strong>der</strong><br />

Struktur des Grundgesetzes <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland erörtern, wo die staatsbegrenzenden<br />

Menschenrechtsartikel 1 bis 19 von <strong>der</strong> Staatskonstitution im Artikel 20 und den vor allem prozeduralen<br />

folgenden Abschnitten gefolgt werden. Interkulturell wahrgenommen wird dieser Staats-Diskurs jedoch<br />

völlig an<strong>der</strong>s <strong>als</strong> <strong>der</strong> Demokratie-Diskurs. <strong>Die</strong> Machteliten weltweit sehen im Staat vor allem die ihnen<br />

dienlichen Potentiale des für sie funktionalisierbaren Gewaltmonopols, das zwar tatsächlich e<strong>in</strong> Mo<strong>der</strong>nisierungsschub<br />

gegenüber vorherigen tribalen, klientelgesellschaftlichen und feudalen Gesellschaftsformen<br />

darstellt, aber wie <strong>in</strong> <strong>der</strong> europäischen Neuzeit zunächst <strong>in</strong> „absolutistische“ und diktatorische<br />

Herrschaftsformen führt. <strong>Die</strong> Demokratie und die Menschenrechte werden von den Herrschenden <strong>als</strong><br />

Bedrohung ihrer Machtansprüche angesehen. Probleme mit <strong>der</strong> Menschenrechts-For<strong>der</strong>ung haben daher<br />

<strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie die Machtstärkeren und Etablierten, während die Machtschwächeren und Außenseiter<br />

(Elias, Norbert / Scotson, John I., 1993) letztlich die soziale Basis für das Erkämpfen ihrer Rechte und<br />

damit <strong>der</strong> Menschenrecht darstellen.<br />

c. Der Diskurs <strong>der</strong> Individualisierung. <strong>Die</strong>ser Diskurs wird kaum offen und bewusst geführt, da er auch <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> eigenen Gesellschaft Konfliktpotentiale birgt. Er steht <strong>in</strong> den Dichotomien Individuum – Familie,<br />

Individuum – Gruppe, Individuum – Staat. Damit wird er zu e<strong>in</strong>em zentralen Element des<br />

Zivilisationsprozesses. Politikwissenschaftlich setzen sich vor allem Ulrich Beck und Thomas Ziehe für<br />

die Gesellschaft <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland mit den Problemen des Individualisierungsprozesses<br />

ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>. Im <strong>in</strong>terkulturellen Diskurs wird gesellschaftshistorisch wohl zu Recht die Individualisierung<br />

<strong>als</strong> mo<strong>der</strong>nes Gegenkonzept zur kommunitären Ordnung tribaler, klientelgesellschaftlicher<br />

und feudaler Gesellschaftsordnungen wahrgenommen. Das politische Dilemma dabei ist, dass mit dem<br />

zunehmenden Kontakt fast aller Regionen <strong>der</strong> Erde mit den Kulturmodellen <strong>der</strong> globalen Zentren bzw.<br />

Industriegesellschaften durch globalisierte Medien- und Informationsverfügbarkeit zwar ke<strong>in</strong> <strong>in</strong>terkulturelles<br />

Verständnis erzeugt und auch ke<strong>in</strong> Abbau negativer Stereotypen gegenüber dem „Westen“ erreicht<br />

wird – eher ist das Gegenteil <strong>der</strong> Fall –, dass aber die „Rückständigkeit“ o<strong>der</strong> mangelnde „Mo<strong>der</strong>nität“<br />

<strong>der</strong> bisherigen geschlossenen Lebensformen gerade <strong>in</strong> den jungen Generationen <strong>als</strong> Lebensgefühl<br />

wahrgenommen wird. Der Mo<strong>der</strong>nitätskonflikt wird dadurch <strong>in</strong> die sozialen Gruppen und Familien<br />

h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>getragen und zum <strong>in</strong>nergesellschaftlichen Konflikt, <strong>der</strong> von den Herrschenden, die sich im<br />

persönlichen Bereich längst an „westlichen“ Komfortstandards orientieren, <strong>als</strong> westlicher Oktroi verstan-<br />

549<br />

550<br />

Vgl. Ra<strong>in</strong>er Lepsius: »Parteiensystem und Sozi<strong>als</strong>truktur. Zum Problem <strong>der</strong> Demokratisierung <strong>der</strong> deutschen Gesellschaft«<br />

(1966); wie<strong>der</strong> abgedruckt <strong>in</strong>: <strong>der</strong>s.: »Demokratie <strong>in</strong> Deutschland«, Gött<strong>in</strong>gen 1993, 8.15-50. Ausführlicher jetzt Hans<br />

Joas/Frank Adloff: »Milieuwandel und Geme<strong>in</strong>schaft«, <strong>in</strong>: Herfried Münkler/Harald Blühen (Hg.): »Geme<strong>in</strong>wohl und<br />

Geme<strong>in</strong>s<strong>in</strong>n« (Bd. IV), Berl<strong>in</strong> 2002, S. 15 3 -186 (Anm. Joas).<br />

Wilhelm Heitmeyer: »Das Des<strong>in</strong>tegrationstheorem: e<strong>in</strong> Erklärungsansatz zu fremdenfe<strong>in</strong>dlich motivierter rechtsextremistischer<br />

Gewalt und zur Lähmung gesellschaftlicher Institutionen«, <strong>in</strong>: <strong>der</strong>s. (Hg.): »Das Gewalt-Dilemma«, Frankfurt/M.<br />

1994, S. 29-72, hier S. 46)“ (Anmerkungen und Literaturh<strong>in</strong>weise von Joas)<br />

250

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